Stuttgart/Dortmund. . Kevin Großkreutz spielte jahrelang im Trikot von Borussia Dortmund - nun will der Ur-Borusse den BVB mit dem VfB Stuttgart aus dem DFB-Pokal werfen.

Kevin Großkreutz kommt zu spät. Über zwei Stunden. Stau im Behandlungszimmer nach dem Training, sagt der Verein. „Der Oberschenkel zwickt“, sagt Großkreutz. Es scheint ein Kraftakt für den Körper, wenn ein Fußballprofi nach einem Jahr ohne Wettkampfspiel auf die Bühne zurückkehrt wie der 27 Jahre alte Großkreutz.

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Das hätten ihm vor einigen Wochen nur wenige zugetraut. Jetzt liegen drei Spiele über 90 Minuten hinter ihm – und ein besonderes steht am Dienstag an, wenn der ewige Dortmunder (236 Spiele für den BVB) mit den Schwaben im Pokal-Viertelfinale auf Borussia Dortmund trifft (20.30 Uhr/ARD und Sky und live in unserem Ticker).

Das ist der Klub, den er niemals verlassen wollte und bei dem er doch gehen musste – weil die einstige Traum-Ehe mehr und mehr auseinanderfiel.

Allzu öffentlicher Groll

Schon das Verhältnis zum sportlichen Ziehvater Jürgen Klopp war lange nicht mehr spannungsfrei. Unter Nachfolger Thomas Tuchel wurde es schlimmer: Großkreutz war erst verletzt und durfte dann für seinen Geschmack zu wenig spielen. Der Ur-Borusse trug seinen Groll darüber allzu offen zur Schau, was wiederum Tuchel sauer aufstieß. Der allerdings will die Angelegenheit heute nicht mehr zu hoch hängen: „Wir hatten unterschiedliche Auffassungen über die Zeit, die er braucht, um wieder vollkommen fit zu werden“, sagt der BVB-Trainer. „Es gab nie Zweifel an seinem sportlichen Potenzial.“

Es folgte die Wechselpanne bei Galatasaray und ein Anpfiff von Bundestrainer Joachim Löw, der Großkreutz unterstellte, nicht professionell genug zu sein. Es war so etwas wie der gefühlte Tiefpunkt, obwohl sich Löw später für das Ausmaß seiner Schelte entschuldigte. „Vielleicht tut es auch gut, so etwas durchzumachen“, sagt Großkreutz heute. „Das letzte Jahr war nicht das Beste, aber es lässt einen reifer werden.“ Der Mann, der sich die Skyline Dortmunds auf die rechte Wade tätowieren ließ und alle gewonnenen Titel auf die Schulter, klingt, als sei er selbst nicht völlig überzeugt davon.

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Doch man darf ihm abkaufen, wenn er sagt: „Es geht mir gut und ich fühle mich wohl. Der VfB hat mir die Chance gegeben, in die Bundesliga zurückzukommen.“ Bäume hat Großkreutz im VfB-Trikot keine ausgerissen, aber immerhin solide Leistungen gezeigt. Und er hat geschwiegen, bis jetzt. Aus Selbstschutz, wie es heißt. Er wolle zuerst ein paar Spiele machen – und dann reden. Nun war der Zeitpunkt gekommen.

Und Großkreutz liefert. Ein knackiges Zitat folgt dem anderen. „Keine Grätsche weniger“, sagt er. „Und: „Auf dem Platz kenne ich keine Freunde.“ Er will „alles raushauen“ und „unbedingt ins Halbfinale“. Obwohl Dortmund „meine Heimat ist“, werde er „alles geben für den VfB. So bin ich“. Ehrgeizige Aussagen fallen ihm nach wie vor leicht, noch leichter als manche Pässe auf dem Rasen. Seinen Neuanfang in Stuttgart sieht er dennoch als gelungen an. „Ich bin fit und habe Kondition, das hatte ich immer“, sagt er.

Dutt lobt seinen Neuzugang

Die Stuttgarter verteidigen ihren Neueinkauf derweil mit allen Mitteln. „Das Bild, das viele von ihm haben, ist ein falsches“, sagt Manager Robin Dutt. „Ich sehe ihn nicht als Problemfall, im Gegenteil. Er gibt dem Team mit seiner Routine zusätzlich Qualität.“

Und Großkreutz? Der spricht über Dortmund, weil er danach gefragt wird. „Ich habe noch viel Kontakt. Zu Reus, Kagawa, Schmelzer und Aubameyang. Bis zum Anpfiff werden wir noch ein paar Nachrichten schreiben, da kann man sich pushen“, sagt er und grinst. „Dortmund wird immer mein Zuhause sein. Aber am Dienstag will ich ins Halbfinale mit dem VfB.“

Pfiffe der BVB-Fans erwartet er keine. Dafür Beifall von der Familie. Vater Martin und Mutter Mia werden im Stadion sitzen „und ihrem Sohn die Daumen drücken, obwohl sie eingefleischte BVB-Fans sind“. Und bei Thomas Tuchel wird ein Handschlag drin sein: „Es gibt keine persönlichen Vorbehalte und keinen Grund, sich aus dem Weg zu gehen, zumindest nicht von meiner Seite“, sagt der Trainer. „Und mich würde es wundern, wenn es die von Kevins Seite gäbe.“