Dubai. BVB-Star Nuri Sahin spricht über seine lange Verletzungspause, seine wichtigsten Stützpfeiler während der Regeneration und seine Ziele mit dem BVB.

  • Nuri Sahin fehlte dem BVB fast ein Jahr lang - nun will er einfach wieder Fußball spielen.
  • Die schwere Zeit der langen Verletzung sieht der BVB-Profi auch als Reifeprozess.
  • Borussia Dortmund traut er den Sieg in der Europa League zu.

Es geht Schritt für Schritt aufwärts für Nuri Şahin. Auf dem Fußballplatz und in der Trainingslagerunterkunft. Der 27-Jährige geht die Stufen zum Loungebereich im Park Hyatt Hotel, in dem Borussia Dortmund während des Trainingslagers in Dubai residiert, hinauf und nimmt in einem der gemütlichen Sessel Platz. Dass er sein erstes Bundesligaspiel seit fast einem Jahr kaum erwarten kann, hört man aus jedem Satz heraus, den Şahin sagt. „Denn diesem Ball“, sagt er im Gespräch „verdanke ich alles, was ich mir erarbeitet habe.“

Herr Şahin, können Sie sich eigentlich noch an Ihr letztes Spiel erinnern?

Nuri Sahin: Klar, das Derby, wir haben 3:0 gewonnen.

Im Februar vergangenen Jahres war das. Wünschen Sie sich so eine Bühne für Ihre Rückkehr?

Sahin: Ich arbeite auf den Tag hin, wieder in der Bundesliga und mit meinen Jungs zu spielen. Es ist aber nicht so, dass ich mir denke, es muss jetzt das Derby sein, ich will einfach nur wieder Fußball spielen.

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Dies ist Ihr elftes Wintertrainingslager – ist es für diesmal etwas Besonderes, weil es einen Wendepunkt markiert, um ins Team zurückzukommen?

Sahin: So lange bin ich schon im Geschäft? (lacht) Ich weiß nicht, ob es ein Wendepunkt ist. Ich bin ein gläubiger Mensch, alles hat seinen Sinn, auch diese Verletzung. Es ist auf jeden Fall eine Herausforderung, mit der ich umgehen muss. Ich denke aber, dass mir das ganz ordentlich gelingt.

Wie erleben Sie dieses Trainingslager persönlich?

Sahin: Ich bin auf einem sehr guten Weg, habe an jedem Tag etwas mit der Mannschaft gemacht. Ich bin noch nicht bei 100 Prozent, was nicht möglich ist, aber ich arbeite mich Schritt für Schritt an das Niveau und das Tempo heran. Ich setze mir aber kein Zeitfenster, wann ich wieder in einem Bundesligaspiel auf dem Rasen stehen will.

Sie legen viel Wert auf Familie. Gab’s mal den Moment, bei dem Sie Ihrem vierjährigen Sohn Ömer Zweifel mitteilen mussten, wieder auf den Platz zurückkehren zu können?

Sahin: Nein, denn ich wusste, dass es lange dauern würde. Es gab Tage, da fühlte ich mich richtig gut, an anderen hatte ich auch mal ein paar Wehwehchen. Ich bin mir sehr sicher, dass mein Sohn noch sehr, sehr viele Spiele im Profibereich und bei Borussia Dortmund sehen wird. Wenn ich daran nicht glauben würde, bräuchte ich jetzt nicht das Trainingslager mitzumachen.

Wie hat Ömer das aufgenommen, wenn es dem Vater mal besser oder schlechter ging?

Sahin: Mir ging es ja nicht schlecht. Zumindest nicht zu Hause, weil es auch ein Reifeprozess war, den ich mitgemacht habe. Ohne arrogant zu klingen: Ich glaube, dass ich diese Phase gut gemeistert habe. Es sind in meinem Familienleben sehr schöne Sachen passiert, die mich sehr glücklich gemacht haben. Beruflich war die Zeit natürlich nicht so erfreulich, weil es auch mal eine Phase mit nur wenigen Fortschritten gab. Das bin ich in meiner Karriere nicht gewohnt und musste ich erst einmal lernen. Deswegen bin ich aber nicht zu Hause mit schlechter Stimmung herumgelaufen. Ich glaube, dass meine Frau und der Kleine mich gerne zu Hause hatten – wobei sie auch wieder froh sind, wenn ich Fußball spiele.

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Während so einer langen Leidenszeit verspürt man ja vielleicht auch mal eine Leere, fragt sich, warum es jemandem passiert ist und wer Schuld daran hat.

Sahin: Der Schuldige ist der Fußball, ich habe elf Profijahre in den Knochen. Es gibt Karrieren, die kommen ohne Verletzungen aus. Mich hat’s jetzt einmal getroffen, der Körper hat mir signalisiert, dass er eine Pause braucht. Der Fußball hat mir so viele schöne Sachen gegeben, ihn jetzt dafür zu bestrafen, wäre ein Riesenfehler von mir. Denn alles, was ich mir erarbeitet habe, verdanke ich diesem Ball.

Gab es Phasen, in denen Sie sich selbst Druck auferlegt haben: Jetzt muss es mal weitergehen?

Sahin: Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass ich immer gestrahlt hätte. Aber ich war immer stark genug zu sagen: Morgen wird’s besser. Mental war das schon eine starke Leistung von mir.

Ilkay Gündogan hatte eine vergleichbare Situation, ist auch lange Zeit ausgefallen. Haben Sie sich mit ihm verstärkt ausgetauscht?

Sahin: Wir haben miteinander darüber gesprochen, als er verletzt war und jetzt ich. Aber das muss man dosieren, damit es einen nicht herunterzieht. Irgendwann kann man das einfach nicht mehr hören. Auch der Trainer hat mich in diesen Monaten unfassbar stark begleitet, da kann ich nicht genug für danken. Es kam ein neues Team und nahm einen Verletzten auf, der in der Hinrunde kein einziges Spiel machen konnte. Wie mit mir umgegangen wurde, ist nicht selbstverständlich.

Nuri Sahin traut BVB Sieg in der Europa League zu 

Im Vollbesitz Ihrer Kräfte, welche Rolle trauen Sie sich dann zu in der Mannschaft?

Sahin: Ich weiß, dass der Fußball, den unser Trainer spielen lässt, mir sehr entgegen kommt. Ich bin aber nicht soweit zu sagen, ich heize jetzt den Konkurrenzkampf an. Der Trainer wird eines Tages kommen und sagen: Da ist dein Platz im Team. Aber ich definiere mich nicht über meine Rolle in der Mannschaft, für mich zählen die Titel mit den Jungs. Diese Ego-Shooter-Phasen kann sich heute kein Spieler mehr erlauben.

Welche Titel können Sie noch mit dem BVB holen?

Sahin: Die Bundesliga haben wir natürlich nicht in der eigenen Hand, dazu waren die Bayern einen Ticken konstanter als wir. Wir haben aber eine so große Qualität in der Mannschaft, um den Anspruch zu haben, den Titel in der Europa League gewinnen zu können. Wir sind es seit Jahren gewohnt, immer in der Champions League zu spielen, haben im Kader nur Champions-League-Spieler.

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Zumal der vermeintlich zweitklassige Europapokal auch in der K.o.-Phase mehr an Königsklassenformat gewinnt.

Sahin: Das bedeutet aber auch: Machst du einen Fehler, bist du raus. In der Vorrunde kann es schon mal ein paar Prozente im Kopf ausmachen, wenn du in Qäbälä spielst und nicht in Madrid oder bei Arsenal. Jedem muss klar sein, dort einen europäischen Titel holen zu können. Gewinnst du den, kommt direkt die Chance auf den nächsten: den Supercup. Nicht jeder kann von sich behaupten, zwei europäische Titel in der Karriere gewonnen zu haben. Ich glaube fest daran, dass wir das schaffen können. Wir entscheiden, wie hoch unsere Messlatte liegt.

Nicht nur auf Vereinsebene können Sie viel erreichen, im Sommer folgt die Europameisterschaft.

Sahin: Für mich steht erst einmal im Vordergrund, komplett gesund zu sein. Die Reihenfolge muss lauten: erst Borussia Dortmund, dann Nationalmannschaft, ich muss mich von hier aus empfehlen. Auch wenn ich in den letzten zehn Jahren immer Teil der Nationalmannschaft war, wird der Trainer mich nicht rufen, wenn ich in Dortmund nicht spiele.