Dortmund. . Jürgen Klopp will die Entwicklung von Borussia Dortmund nicht blockieren und räumt deshalb seinen Stuhl. Thomas Tuchel gilt als Nachfolge-Favorit.

Der Mittwochmittag im Stadtteil Brackel war gewöhnlich. In dem Gewerbegebiet, in dem das Trainingszentrum von Borussia Dortmund liegt, genossen die Menschen in ihren Pausen die Sonne. Vor den Plätzen des Fußball-Bundesligisten blies der Wind in drei schwarzgelbe Fahnen, die seit einigen Stunden auf Halbmast hätten hängen müssen. Denn etwas später und nur ein paar Kilometer weiter an der Strobelallee, im Stadion der Borussia, verlieh Hans-Joachim Watzke den Gerüchten Nachrichtenwert, der bislang bei den Fans in einer Herzkammer des deutschen Fußballs nur in schlimmsten Befürchtungen vorkam.

Seit dem Morgen war im Umlauf, dass Jürgen Klopp den Vorstandschef der Borussia gebeten habe, seinen bis 2018 laufenden Vertrag nicht erfüllen zu müssen und nach den letzten sechs Ligapartien sowie dem Pokalspiel in München sein Amt als Trainer niederlegen zu dürfen. Mit einem Gesichtsausdruck, als habe er sich seit Samstag das 1:3 bei Borussia Mönchengladbach in einer Endlosschleife ansehen müssen, bestätigte Watzke diesen Wunsch: „Der Weg, den wir sieben Jahre mit unglaublichem Erfolg gegangen sind, ist am Ende der Saison zu Ende.“ Ob die Zukunft in Dortmund Thomas Tuchel heißt, was viele BVB-Fans als Trostpflaster sehen mögen, wollte Watzke nicht kommentieren.

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„Wenn man es ganz ehrlich reflektiert, habe ich für mich erkannt: Es muss eine Veränderung her. Weniger für mich als für den Verein“, sagt Klopp. Der 47 Jahre alte Fußballlehrer habe keinen neuen Verein an der Hand, müsse auch nicht ein Sabbatjahr wie Pep Guardiola einlegen. Aber „solange ich hier bin, werden wir immer mit vergangenen Erfolgen verglichen“. Daher sei es besser, wenn bald „von der Spitze weg andere Einflüsse auf die Mannschaft“ träfen.

Der heißeste Klub Europas

Unbestritten ist die Auswirkung Klopps seit seinem Dienstantritt in Dortmund 2008 auf den gesamten Fußball. Er führte den BVB in atemberaubender Weise zu zwei Meisterschaften und Anerkennung in ganz Europa. Beeindruckt trotz der 1:2-Niederlage im Champions-League-Finale gegen den FC Bayern, titelte das englische Fußballmagazin „Four-Four-Two“ im Oktober 2013 über den BVB: „Der heißeste Klub Europas“.

Klopps emotionalste BVB-Momente

24. Oktober 2010

Am 9. Spieltag der Saison 2010/2011 gelingt Antonia Da Silva mit der letzten Aktion des Spiels - einem direkten Freistoß - der Ausgleich zum 1:1 gegen die TSG 1899 Hoffenheim. Der unerschütterliche Glauben an die eigenen Stärke, der die kommenden Erfolgsjahre einleiten sollte: In diesem Moment ist er regelrecht greifbar.

30. April 2011

Ein 2:0-Heimsieg über den 1. FC Nürnberg macht die erste von zwei Deutschen Meisterschaften unter Jürgen Klopp perfekt.

15. Mai 2011

Es folgt eine Meisterfeier in der Dortmunder Innenstadt, die jeder, der dabei, sein Lebtag nicht vergessen dürfte.

20. Dezember 2011

Mit einer Notelf kämpft sich der BVB gegen Fortuna Düsseldorf ins DFB-Pokalviertelfinale. 5:4 siegen die Borussen im Elfmeterschießen, nachdem sie nach Gelb-Rot für Patrick Owomoyela fast 90 Minuten mit einem Mann weniger auf dem Platz gestanden haben. Für Jürgen Klopp ist der Erfolg jedoch auch schmerzhaft: Er freut sich so sehr, dass er sich beim Jubeln einen Muskelfaserriss zuzieht.

21. April 2012

Nach dem Titelgewinn 2011 macht der BVB dank eines souveränen 2:0 gegen Gladbach den zweiten Titel in Folge perfekt. Ganz Dortmund bebt und Jürgen Klopp genießt die obligatorische Bierdusche.

12. Mai 2012

Ekstase in Schwarz-Gelb: Der BVB holt zum ersten Mal in der Vereinsgeschichte das Double. Mit 5:2 deklassiert Klopps Team den FC Bayern. Shinji Kagawa bringt den BVB schon in der 3. Minute in Führung, Mats Hummels verlädt Neuer beim Elfmeter, Lewandowski legt nach. Klopp ist nach dem Schlusspfiff nicht mehr zu halten.

25. September 2012

Auch dafür ist Klopp berüchtigt: Im Bundesligaspiel gegen Eintracht Frankfurt hat er einen seiner berühmten Ausraster. In der Nachspielzeit stürmt er zum vierten Offiziellen und schreit ihn an. Klopp wird daraufhin aus dem Innenraum verwiesen. "Das Gesicht sah nicht gut aus", sagt er im Anschluss. Das DFB-Sportgericht verhängt eine 6000-Euro-Strafe.

9. April 2013

Der Abend geht als "Das Wunder von Dortmund" in die Vereinsgeschichte ein: Im Champions-League-Viertelfinale gegen den FC Malaga war der BVB eigentlich schon ausgeschieden. 1:2 lag das Team hinten, dreht das Spiel aber noch in der Nachspielzeit durch Tore von Marco Reus und Felipe Santana.

24. April 2013

Kurze Zeit später folgt der nächste Coup: Im Halbfinale der Königsklasse schießt Robert Lewandowski Real Madrid quasi im Alleingang ab. 4:1 heißt es am Ende für die Borussia, die damit mit einem Bein im Endspiel steht.

25. Mai 2013

Nicht immer sind emotionale auch schöne Momente. Im Finale der Champions League muss sich der BVB dem FC Bayern geschlagen geben. 1:2 verlieren die Borussen. Klopp ist nach Abpfiff als Tröster gefragt.

18. September 2013

Klopp'sche Ausraster, die Zweite: Im Champions-League-Spiel gegen Neapel wird Klopp nach 30 Minuten auf die Tribüne geschickt. Er hatte den vierten Offiziellen aus nächster Nähe angeschrien, gab sich hinterher aber reumütig: "Ich bin über das Ziel hinausgeschossen, das war völlig doof."

17. Mai 2014

Schmerzhaftes Déjà-vu für die Dortmunder: Arjen Robben ist der Matchwinner des FC Bayern im DFB-Pokalfinale - wie schon im Endspiel der Champions League. Ein nicht gegebener, aber regulärer Treffer von BVB-Verteidiger Mats Hummels sorgt für Gesprächsstoff.

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Mit seiner Eloquenz und Impulsivität verlieh Klopp der Borussia Charisma, auch wenn er mehrere Male über die Stränge schlug. „Du hast dem Verein viel Energie und Optimismus mitgegeben“, dankt ihm nun Sportdirektor Michael Zorc. Über die Jahre hat sich jedoch eine Überhöhung der Person Klopp in Gang gesetzt. Der Trainer galt als sakrosankt, als die Borussia in dieser Saison nur schwer in Tritt kam und am 18. Spieltag gar die Rote Laterne in der Hand hielt. Klopp, der Unverwüstliche, der Unersetzbare, mit dem Watzke schlimmstenfalls in die 2. Liga gehen würde. „Der Name Klopp war in diesem Verein relativ groß und wurde nie der eigentlichen Bedeutung des BVB gerecht“, sagt der künftige Ex-Trainer, „der Verein muss die Möglichkeit haben, sein großartiges Potenzial zu nutzen, ohne von der Vergangenheit in der Entwicklung blockiert zu werden. Dazu muss ein großer Kopf weg – und das ist in diesem Fall meiner.“

Denn der 47-Jährige könne mit Gewissheit nicht mehr sagen, ob er noch der perfekte Trainer für die Mannschaft sei. Klopp schien zuletzt nicht mehr die Magie versprühen zu können, das Team von seinem Plan überzeugen und emotional mitreißen zu können. „Wir sind alle nach wie vor ein bisschen verliebt in diesen Verein“, hatte er bei seiner Vertragsverlängerung 2013 gesagt. Die Liebe erscheint nicht erloschen, die Leidenschaft schon.

Ein Platz frei im Triumvirat

Bis zum 23. Mai will Klopp mit der Borussia die Saison „so überragend wie möglich“ beenden, am liebsten noch eine Woche später in Berlin um den DFB-Pokal spielen. Damit ließe sich auch sein sportlich letzter Wunsch erfüllen: „Noch einmal mit dem Laster über den Borsigplatz fahren – das wäre lässig.“ Zu diesem Zeitpunkt dürfte der BVB längst geklärt haben, wer Klopps Sessel im Triumvirat mit Watzke und Zorc einnimmt. Die Zukunft von Borussia Dortmund – sie hat mit diesem Mittwoch bereits begonnen.