Dortmund. Mit dem im Abstiegskampf so wichtigen Sieg über 1899 Hoffenheim ist Borussia wieder Borussia geworden, meint Kolumnist Christoff Strukamp.
Ungefähr 2500 Steh- und Sitzplätze umfasste der Gästeblock von Arminia Bielefeld im Jahr 2007, addiert man noch ein paar hundert Tickets hinzu, waren es vielleicht 3000 Dortmunder, die Ende März jenes Jahres auf der “Bielefelder Alm” mitansehen mussten, wie der BVB unter Trainer Thomas Doll durch eine 0:1-Auswärtsniederlage auf einen Abstiegsplatz rutschte. Wer es gut mit unserem BVB hält, kann sich daran erinnern.
In den vergangenen Jahren ist dieses Freitag-Abendspiel in Ostwestfalen zu einem Mythos geworden, bei dem jeder irgendwie dabei war. “Weißt du noch damals in Bielefeld.” Dieses Spiel im März 2007 hatte sich eingebrannt in die schwarz-gelbe Fußballfanseele. Es war Tiefpunkt und Wendepunkt zugleich. Der BVB entkam dem Abstieg und katapultierte sich in kürzester Zeit zurück an die Spitze des deutschen, teilweise sogar des europäischen Vereinsfußballs.
Nie war ein 1:0 schöner, als letzten Freitag
Sieben einhalb Jahre ist das nun her – Freitagabend in Bielefeld – und vieles spricht dafür, dass “Bielefeld 2007” in “Hoffenheim 2014” einen würdigen Nachfolger einer nachfolgenden Generation von Fans finden wird. Wo auch immer der Weg unseres BVB in den nächsten Jahren hinführen mag, ich hoffe und wünsche mir, dass sich viele Fans in den schönen Stunden – nach Spielen, die “nur” 1:0 oder 2:0 für uns ausgehen und die Herren Millionäre “nur” auf Platz 2 oder 3 stehen, den vergangenen Freitag in Erinnerung rufen.
Diese brutale Anspannung vor dem Spiel, die in einem gigantischen Aufschrei gipfelte, als Gündogan die Kirsche unters Gebälk wuchtete. Und erst Recht diese unglaubliche Befreiung, als das Spiel beendet war und drei hart erkämpfte Punkte in Dortmund blieben. Es war das vielleicht schönste 1:0 der vergangenen Jahre. In keinem Moment – seit Wembley wahrscheinlich – war ich stolzer, Borusse zu sein, als an diesem 14. Spieltag. Vor dem Spiel wohlgemerkt.
Das mag in der Idiotie des Fanseins begründet sein, aber ja: nie war ich glücklicher ein Dortmunder zu sein als am Freitagnachmittag. Auf Platz 18 der Tabelle. Stets des Ausmaßes bewusst, was hier alles auf dem Spiel steht. Angekommen am Tiefpunkt. Mein zweites Bielefeld. In diesem Moment ist meine Borussia wieder Borussia geworden. Kein funktionierendes Abbild eines europäischen Fußball-Schwergewichts, sondern ein lebendiger Verein mit Höhen und Tiefen. Und als ob es uns allen noch einmal so richtig brutal vor Augen geführt werden musste, was so einen echten Verein ausmacht, mussten wir am Freitag Abschied von einem nehmen, der das alles schon mehrmals mit unserer Borussia erlebt hatte. Alois Scheffler. Der “ewige Borusse”, der unter der Woche im Alter von 99 Jahren verstarb, erhielt in seinem, unserem Westfalenstadion eine Schweigeminute, wie sie wohl einzigartiger nicht sein könnte.
Als Norbert Dickel den Nachruf an das BVB Ehrenmitglied mit dem legendären Zitat Schefflers “Einmal Borusse, immer Borusse” beendete, bebte das Stadion aus einem Impuls heraus, den man “Fremden” nur schwer erklären kann. In diesem Moment war es unmöglich, inne zu halten. Alois Scheffler hatte es geschafft mit nur vier Worten ein Gefühl auszudrücken, das uns alle vereint. Ein Versprechen, das alles umfasst. Misserfolg und Triumph. Leid und Stolz. Bielefeld und Wembley. Alois Scheffler wäre stolz gewesen, wenn er den Schulterschluss zwischen Verein, Spielern und Fans am vergangenen Freitag noch erlebt hätte.
Wir können das Zitat Alois Schefflers weitertragen
Und so bleibt das, was Hans-Joachim Watzke und Jürgen Klopp schon vor ein paar Tagen sinngemäß zu Protokoll gaben. Der BVB hat eine riesige Chance aus dieser schwierigen, sportlichen Situation etwas Außergewöhnliches zu schaffen. Wir können den Beweis antreten, dass sich dieser Verein – anders als so viele andere – in keiner Situation auseinander dividieren lässt. Wir können das Zitat Alois Schefflers weitertragen.
Der vergangene Freitag war ein Schritt in diese Richtung. Ein neuer Wendepunkt in der Dortmunder Geschichte. Vielleicht stehen wir in ein paar Jahren auf der Tribüne und werden uns gegenseitig daran erinnern müssen “Weißt du noch damals, Freitagabend gegen Hoffenheim…?”.
08.12.14, Christoff Strukamp, Gib mich DIE KIRSCHE