Leipzig. . Der Fußball auf dem Boden der ehemaligen DDR schien kurz nach der Wende eine schöne Zukunft zu haben, doch dann kam der Niedergang. Gefolgt von Dietrich Mateschitz, der RB Leipzig aus dem Boden stampfte und mit dem Klub längst in der Spitzengruppe der 2. Liga angekommen ist.
Es scheint, als sei die Zeit stehengeblieben. Möglicherweise ist sie aber auch erst gar nicht angekommen. Vor dem Fanshop vom 1. FC Lokomotive Leipzig hängt eine gelb-blaue Fahne, die von den Autoabgasen längst einen Grauschleier hat. In den Regalen liegen Stadion-Zeitungen. Das Programm vom Spiel gegen Erzgebirge Aue II kostet einen Euro. Fußball-Oberliga Nordost, fünfte Klasse.
Draußen auf der Pragerstraße rumpelt die Straßenbahn vorbei, an der Ecke zur Russenstraße ist ein Geschäft. Am Schaufenster prangt der Schriftzug „Kreditvermittlung“.
Karl Grasser tritt aus dem Fanshop, er hat nichts gekauft. Es ist keine reiche Gegend von Leipzig. Grasser hat Fältchen rund um die Augen. Sie sehen aus wie gezeichnete Zeit. Er ist 68 Jahre alt und hat die Fußballer von Lok Leipzig in der DDR noch im Europapokal spielen sehen. „War gut damals“, sagt er, will aber nicht missverstanden werden und korrigiert sich: „Der Fußball war gut damals.“
Der erste Deutsche Meister
Ganz früher war er sogar noch besser. Bei der Gründung hieß der Verein noch VfB Leipzig und gewann im Jahr 1903 die erste deutsche Meisterschaft, die ausgespielt wurde. Hinter dem Bruno Plache-Stadion hat der Verein einen Gedenkstein aufgestellt und auf eine Bronze-Platte gravieren lassen: „1. Deutscher Meister 1903“.
Karl Grasser ist mitgekommen ins Stadion, vom Fanshop sind es nur ein paar Minuten zu Fuß, und er hat nichts vor. „Da, auf den Stehrängen haben wir Fans freiwillig das Unkraut weggemacht“, erzählt er. „War sogar ein Doktor dabei, wir halten hier zusammen.“
Dann spricht sein Gesicht, ohne zu reden. Es sagt den Satz: „War aber vielleicht alles umsonst.“ Die Stehränge in der Kurve sind schon wieder überwuchert, es geht dem Verein nicht so gut.
Der Rausch ist verflogen. 1990 hatte Franz Beckenbauer mit der deutschen Nationalelf die Weltmeisterschaft gewonnen. Die Vereinigung kam, und der Teamchef tönte: „Damit sind wir auf Jahrzehnte unschlagbar.“
Aufstieg, Abstieg, Schulden, Insolvenz
Die Fußballer im Osten glaubten ihm, zumal die Besten von ihnen sofort problemlos auf den Zug des Profifußballs sprangen. Reiner Calmund, Manager des Bundesligisten Bayer Leverkusen, hatte hinter den Kulissen längst die DDR-Nationalspieler Ulf Kirsten und Andreas Thom unter Vertrag genommen. Dynamo Dresden und Hansa Rostock kamen in die Bundesliga, Rostock führte nach ein paar Spieltagen die Tabelle an. Im Osten war man plötzlich wer.
Also dachten die Leipziger: Einfach, das machen wir auch mit. Sie legten ihren DDR-Namen Lokomotive ab, nannten sich wieder VfB und stiegen 1993 unter Trainer Jürgen Sundermann tatsächlich in die Bundesliga auf.
Der Anfang vom Ende. Dem sofortigen Abstieg folgten die Schulden. Irgendwann fehlten gleich 19 Millionen D-Mark in der Kasse, es blieb nur die Insolvenz.
„Wir wollten es nicht glauben“, sagt Grasser. Er schüttelt den Kopf. Die Fußballstadt Leipzig ohne Fußball?! Das ist wie Rembrandt ohne Pinsel, wie ein Porsche ohne Benzin. Nur viel schlimmer.
Dann kam RB Leipzig
Und dann lernte Leipzig das Fußballgeschäft kennen, wie es im Westen manchmal geführt wird. Dietrich Mateschitz, der mit dem Energie-Drink Red Bull ein Millionen-Imperium aufgebaut hat, erkannte das Werbe-Potenzial des Fußballs und suchte einen Standort für sein Projekt: Er will einen Klub in die Bundesliga führen.
Er fand: Leipzig. Ein modernes Stadion, das für die WM 2006 gebaut worden war und keinen Klub beherbergte. Eine Stadt mit Fußball-Geschichte und der nötigen Infrastruktur bis hin zum Flughafen. Mateschitz hatte den Ort für sein Projekt entdeckt. Im Jahr 2009 übernahm er die Oberliga-Lizenz vom SSV Markranstädt, taufte das Team um in RB Leipzig, pumpte Millionen ins Team und ist längst in der Spitzengruppe der 2. Liga angekommen.
Das sportliche Management hat der frühere Schalke-Trainer Ralf Rangnick übernommen. „Ich bin gerne hier“, sagt er. Die Anfeindungen hält er aus. Sie kommen hauptsächlich von Menschen, die einen Leistungskurs in Fußball-Melancholie absolviert haben und finden, dass RB Leipzig ein neureicher Plastikklub sei. Kein unbedingt falscher Gedanke. Aber der Klub zieht bereits bis zu 30.000 Zuschauer pro Spiel. Lok-Fan Grasser sagt über den Rivalen: „Ich war auch schon mal dort.“ Pause. „Spielen gar nicht so schlecht.“
Dann muss er sich beeilen: Seine Straßenbahn fährt gleich ab.