London. . Vor dem deutschen Champions-League-Finale in Wembley überschlagen sich die Spekulationen um einen möglichen Ausgang. Eine wichtige Rolle spielt der Druck, der auf den Teams lastet. Beim BVB sieht man sich gerne in der Rolle des Außenseiters. Fans auf der ganzen Welt erobern lautet die Mission. Bei den, laut Uli Hoeneß zur “Vorherrschaft“ bestimmten, Bayern hat man da mit ganz anderen Anforderungen zu kämpfen.

„Große Ziele“, hat Trainer Jürgen Klopp am Freitagabend in Londons Wembley-Stadion gesagt, große Ziele strebe Borussia Dortmund im Finale der Champions League an. Diese beiden großen Ziele nämlich: erst die Bayern schlagen und dann den Henkelpott entgegen nehmen. Mario Götze, der den Rasen des Wembley-Stadions nicht betreten darf, auf dem Samstag ein Kapitel für das deutsche Fußballgeschichtsbuch geschrieben wird, glaubt nach per Pressemitteilung verbreiteter Aussage fest an das Erreichen der großen und eindeutig schwarzgelben Ziele: „Ich habe volles Vertrauen in unser Team.“ Dabei müsste doch klar sein: Einer, der nicht mehr für Dortmund spielen, einer, der kommende Saison das Bayern-Trikot überstreifen wird, der kann doch gerade gar nicht mehr wissen, wo ihm das Herz steht.

Borussen-Gen auf dem Weg zur Welt-Fan-Eroberung

Das ist eine der vielen Fragen, die im weit ausgedehnten Vorfeld des ersten Aufeinandertreffens von zwei deutschen Klubs auf dem höchsten Gipfel Europas überall beantwortet werden musste. Wo steht mein Herz? Auf der schwarzgelben Seite oder auf der roten? Für den BVB ist das Maß der Anteilnahme wichtig. Einerseits für das Spiel: In diese Richtung der Welt-Fan-Eroberung wies der jüngste Kunstgriff des Cineasten Klopp: „Es ist wie bei James Bond – außer, dass sie der andere Typ sind.“ Sie, die Bayern, der Bösewicht. Und wer will in dieser schwarz-weißen Welt nicht das Gute siegen sehen?

Andererseits weit über das Spiel hinaus: Je mehr Menschen sich mitreißen lassen, je mehr Erdbewohnern das Borussen-Gen implantiert werden kann, desto strahlender sollte die Zukunft dieses Vereins sein, der 2005 am Abgrund der Insolvenz stand und beinahe gestrauchelt wäre.

Druck beim BVB? "Wir haben nichts zu verlieren", sagt Sebastian Kehl

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Aber ist das Druck? Ist es Druck, wenn Bonds einziger Auftrag lautet: noch mehr Anteilnahme erzeugen? Von approbierten und von Stammtisch-Psychologen ist das in den vergangenen Wochen aufgeregt diskutiert worden. Wer hat weniger zu verlieren und wird deshalb frei von der Last des Müssens über den anderen hinweg fluten?

Dabei sollte die Antwort leicht fallen. Die Dortmunder haben bereits gewonnen. Sie sind weitaus überraschender eingezogen in dieses Finale, sie werden bald mehr als 60 Millionen Euro aus dem Königsklassenbudget auf einem Konto haben, sie leuchten auf wie der Stern Borussia. Klopp hat deshalb sachlich festgelegt, was diese Reise ins Finale unter dem Strich bringen soll. Schöne Erinnerungen: „Wir werden das nie vergessen, das ist klar.“ Und Kapitän Sebastian Kehl erklärte noch am Freitag locker: „Wir haben im Endeffekt doch gar nichts zu verlieren.“

Druck beim FCB? Das Kollektiv muss der Mia-san-mia-Geste gerecht werden

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Beim Stern des Südens dagegen herrscht Druck, auch wenn das gern mit einer Mia-san-mia-Geste überspielt wird (Bastian Schweinsteiger: „Wir lernen bei Bayern schon in der Jugend zu siegen“). Der Druck lastet auf dem Kollektiv: Bayern steht zum dritten Mal innerhalb von vier Jahren in diesem Endspiel. Zweimal wurde bereits verloren.

Bayern ist Deutscher Meister, aber in den vorangegangenen beiden Spielzeiten war es der BVB, der den Titel holte und im Jahr 2012 darüber hinaus den Pokal, mit einer 5:2-Klatsche gegen – ausgerechnet den FCB. Demütigungen, die sich nach eigenem Selbstverständnis nur bewältigen lassen, wenn die „Vorherrschaft“ (ein Wort von Bayern-Präsident Uli Hoeneß) auf europäischer Ebene abgesichert werden kann.

Und der Druck lastet auf den Individuen: Spieler wie Philipp Lahm und Schweinsteiger, wie der Kapitän und der Vize-Kapitän, haben international weder mit dem Klub noch mit der Nationalmannschaft je Edelmetall in die Hände bekommen. Spieler wie Lahm, Schweinsteiger oder der große Unvollendete Franck Ribery sehnen sich nach der höchsten aller Auszeichnungen. Sie wollen den Titel „Weltfußballer“ tragen, und wenn nicht jetzt, in dieser Saison, in der Lionel Messi international schwächelte und in der keine EM, keine WM mehr anliegt, wann dann?

Beim BVB hätte nur Götze Druck gehabt - und der fiebert nur auf der Tribüne mit

Zugeben lässt sich das nicht. Dazu ist der Bayer zu sehr Bayer, dazu weiß der Bayer auch zu gut um die möglicherweise fatalen Auswirkungen des Zugebens. Doch das könnte die Chance für den BVB sein, dass die Druckverhältnisse eindeutig sind, dass sie sich auf subtile Weise auswirken können. Aus den eigenen Reihen hätte nur einer Druck gehabt. Brutalen. Mario Götze aber kann dem Team nur sein volles Vertrauen mit auf den schwierigen Weg geben.