Essen. Horst Heldt hat sich nach dem Dortmund-Drama in der Champions League für den Videobeweis stark gemacht. Doch auch diese umstrittene Technik kann keinen durchweg fairen Spielverlauf garantieren. Und die Diskussionen würden absurder denn je. Ein Contra.

Horst Heldt hat sich am Donnerstag für den Videobeweis ausgesprochen. Keine 48 Stunden nach dem irren 3:2-Sieg der Dortmunder gegen Malaga. "Es kann nicht sein, dass man zu einem solchen Spiel Durchschnitt schickt", wütete der Schalke-Manager gegen die Unparteiischen. Harter Tobak. Kaum vorzustellen, dass Heldt diese Debatte nach einem ähnlichen Erfolg seiner Mannschaft losgetreten hätte.

Geht es nach Heldt, soll der Videobeweis künftig einen fairen Spielverlauf garantieren. Zumindest ausprobieren müsse man die umstrittene Technik. Denn mit Fairplay hätte der Last-Minute-Sieg der Dortmunder nichts zu tun gehabt. Natürlich ist es richtig, dass die Schiedsrichter die doppelte Abseitsstellung der Dortmunder vor dem Siegtreffer erkennen hätten können - ja, vielleicht sogar müssen. Genauso wie die der Spanier vor dem zwischenzeitlichen 1:2.

Auch der Videobeweis liefert keine uneingeschränkte Aufklärung

Klar ist auch: Solche Fehlentscheidungen sind für die Leidtragenden äußerst bitter. Aber sie sind ebenso menschlich. Menschen machen Fehler. Maschinen vielleicht nicht. Was jedoch viel wichtiger ist: Auch Maschinen, auch Kameras haben ihre Augen nicht überall. Und auch die modernsten Kameras können nicht für jede Abseitsentscheidung, jedes Foul und jedes Handspiel uneingeschränkt Aufklärung liefern. Wie oft saßen TV-Experten nach mehrmaligem Betrachten einer strittigen Szene ratlos vor den unzähligen Monitoren in den Fernsehstudios? Trotz Superzeitlupe aus verschiedenen Perspektiven kamen sie zu keiner klaren Entscheidung. Ebenso wie NBA-Schiedsrichter, die oft minutenlang TV-Bilder analysieren und diskutieren, um letztendlich doch an der ursprünglich getroffenen Tatsachenentscheidung festzuhalten.

Ein Manko, das viele Fürsprecher gerne vergessen: Ein gänzlich fehlerfreier Fußball ist nicht möglich. Zu komplex ist das Spiel. Millimeter entscheiden über Tor oder Nicht-Tor. Die Position der Beine über Foul oder nicht, die Haltung der Arme über Hand oder nicht.

Außerdem: Man mag sich gar nicht vorstellen, welch hirnrissige Diskussionen eine Einführung des Videobeweises nach sich ziehen würde. Was würden die Beteiligten wohl sagen, wenn ein Stürmer zurückgepfiffen wird, weil sein Kinn die virtuelle Abseitslinie um Haaresbreite überschritten hat? Was würden sie sagen, wenn ein Schiedsrichter nach Betrachtung der TV-Bilder auf den Punkt zeigt, weil ein Verteidiger den Ball mit seiner Fingerkuppe touchiert hat?

Videobeweis: Nein, danke

Ergo: Mit Videobeweis würde sich nichts Grundliegendes ändern. Der Fußball würde nicht fairer. Schon gar nicht perfekt. Strittige Schiedsrichterentscheidungen würden wir weiterhin diskutieren. Lediglich das Niveau wäre ein anderes. Kleinkarierter denn je.

Nicht ohne Grund sind Tatsachenentscheidungen im Fußball bislang gang und gäbe. Und das ist auch gut so. Im Zweifel, so heißt es bekanntlich bei hauchdünnen Abseitsentscheidungen, für den Angreifer. Die Einführung des Videobeweises allerdings würde diese seit Jahrzehnten standhafte Regel außer Kraft setzen. Der Fußball, den wir kennen und lieben, wäre Vergangenheit. Zugunsten einer Technik, die niemals das liefern wird, was ihre Verfechter erwarten.

Entscheiden wir uns also, dieses wunderbare Spiel namens Fußball nicht noch schwerer zu machen, als es ohnehin schon ist. Torlinientechnik okay. Videobeweis: Nein, danke. Ganz abgesehen davon, dass kein Mensch Lust auf weitere Spielunterbrechungen hat...

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Von Niklas König