Herzogenaurauch. . Bundestrainer Joachim Löw empfindet es als komfortabele Situation, bei der Besetzung des Angriffs zwischen mehreren Varianten entscheiden zu können. Die Frage ist: Ein Vollstrecker wie Klose oder Gomez, oder aber einer der vielen Kombinierer wie Götze?
Nach einer Halbzeit war im fernen Kasachstan klargestellt, dass die Nationalmannschaft die nachmitternächtliche Partie auf dem Kunstrasen von Astana nicht mehr verlieren würde. Selbst ein spektakulär verblüffendes Remis wie bei der vorangegangenen WM-Qualifikationsbegegnung mit den Schweden (4:4 nach 4:0) konnte gegen den lammfrommen Gegner ausgeschlossen werden. Die Spieler nahmen das zum Anlass, das Konzentrationsvolumen zu reduzieren und nur mit 3:0 (2:0) zu gewinnen. Und im Fußballdebattierklub Deutschland konnte man sich endlich wieder mit Feuereifer dem Thema widmen, das schon vor dem Anpfiff den Raum satt füllte: Revolution im Sturm? Oder doch Sturm im Wasserglas?
In die Historie eingeordnet, verhält es sich so: Der Deutsche hatte es nie mit richtig prallen Umstürzen, bei denen die Köpfe rollten wie einst in Robespierres Frankreich. Und daran hat sich auch beim Drei-Punkte-Coup am Freitagabend, dem ein weiterer Drei-Punkte-Coup am Dienstag (20.45 Uhr, im Live-Ticker) in Nürnberg gegen den gleichen Gegner folgen soll, nichts verändert. Joachim Löw will nicht einmal als der Bundestrainer in die Geschichte eingehen, der den Mittelstürmer zum Schafott führte. „Wir werden nie ohne eine Nummer neun spielen“, kündigte er an. Was bedeutet: Irgendjemand wird schon die im 4-2-3-1-System eingewirkte Rolle des zentralen Angreifers übernehmen.
Dem Ausflug in den Osten folgen ein paar Fragen
Ein paar Fragen sind nach dem Ausflug in den Osten dennoch aufgeworfen: Wie groß wird dieser Mann sein? Und mit welchem Ausbildungshintergrund wird er aufwarten? Gegen die Kasachen schickte Löw den kleinen Dortmunder Mario Götze als Spitze auf den Rasen. Allerdings hatte der nach dem Ausfall von Miroslav Klose einzig verbliebene große, ausgebildete Mittelstürmer Mario Gomez sich mit einer Zerrung im Oberschenkel krank gemeldet.
In Nationalelfkreisen wird nun behauptet, dass zum Zeitpunkt der Krankmeldung noch nichts entschieden gewesen sei. Doch Marco Reus, der erste Anwärter für die linke Offensivseite, fehlte wegen einer Gelbsperre ebenfalls. Und weil der Bundestrainer Lukas Podolski nach drei Wochen mit verletzungsbedingtem Kürzertreten offensichtlich noch schonen wollte und stattdessen den erst 19-jährigen Schalker Julian Draxler für Reus aufbot, war der ursprüngliche Plan wohl ein anderer: Gomez, der in 58 Ländervergleichen 25 Tore beisteuerte, in sein natürliches Revier, Götze nach links.
Auch Thomas Müller wäre ein Kandidat für den Sturm
Für den von ihm hoch geschätzten Technikgenius möchte Löw ja immer wieder einen Platz finden, an dem er ihn trotz überbordenden personellen Reichtums auf den Offensivpositionen doch noch einflicken kann. Und Mittelstürmer kann der 2:0-Schütze eben auch. So, wie Mesut Özil zum Beispiel, der in der Schlussphase des Tests gegen Frankreich im Februar (2:1) eine feinsinnige Interpretation der Aufgabe ablieferte und am Sonntag mit Blick auf den zweiten Auftritt gegen die Kasachen erklärte: „Ich bin gespannt, mit welchem System wir das nächste Spiel spielen werden.“
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Thomas Müller wäre ein weiterer Kandidat. In Astana traf der Münchner zweimal und erhöhte damit seinen Kontostand auf 13 Tore in 40 Einsätzen. Beim ersten Treffer fälschte er einen Schuss von Bastian Schweinsteiger aber nur ab. Und der Vereinskollege und damit Müller-Intim-Kenner, der Kasachstan II nach der zweiten Gelber Karte verpassen wird, gab anschließend zum Besten: „Der Thomas steht halt immer da, wo der Ball hinkommt.“ Handelt es sich also bei Müller eigentlich um einen deutschen Sturmklassiker?
Komfortable Situation für den Bundestrainer
Auf die Beantwortung dieser Frage wird Löw auch in Nürnberg kaum hinarbeiten. Ob er auf Müller, Götze, Özil oder Reus setzt, der am Sonntag seine eigene Qualifikation hervorhob („Ich habe das in Gladbach über Jahre hinweg gespielt“), ist nämlich nicht von Gewicht für die Ausrichtung des Spiels. Von Gewicht ist lediglich die Entscheidung zwischen einem Vollstrecker mit Durchsetzungsvermögen, der nach Flanken oder Standards den ganzen Wuchtkörper inklusive Kopf einsetzen kann, und einem Flachspieler aus der langen Reihe der begnadeten Kombinierer.
Der Bundestrainer empfindet das als komfortable Situation: „Es ist gut, wenn sich der Gegner nicht auf einen Spielertypen einstellen kann.“ Würde es Gomez (und den bald 35-jährigen Miroslav Klose) nicht geben, wäre allerdings das, was aktuell im Debattierklub noch als revolutionäre Barcelona-Stil-Adaption verhandelt wird, bereits alternativloser deutscher Normalzustand.