Essen. Joachim Löw hat für die WM-Qualifikationsspiele der deutschen Fußball-Nationalmannschaft gegen Kasachstan mit Mario Gomez erneut nur einen Mittelstürmer nominiert. Abgesehen von Leverkusens Stefan Kießling fehlen dem Bundestrainer die Alternativen. Der klassische Mittelstürmer stirbt aus.

Mit Mario Gomez (27) hat Bundestrainer Joachim Löw erneut nur einen Mittelstürmer für die WM-Qualifikationsspiele der deutschen Nationalmannschaft gegen Kasachstan nominiert. Weil Miroslav Klose (34) verletzt fehlt. Weil Stefan Kießling (29) unter Löw keine Beachtung findet. Weil es keine Alternativen gibt.

Deutschlands "goldene Generation"

Und das, obwohl der Deutsche Fußball-Bund und die Vereine hervorragende Nachwuchsarbeit leisten. Spieler wie Mats Hummels (24), Holger Badstuber (24), Jerome Boateng (24), Sven und Lars Bender (23), Toni Kroos (23), Ilkay Gündogan (22), Marco Reus (23), Julian Draxler (19), Mario Götze (20), Mesut Özil (24), Lewis Holtby (22), Andre Schürrle (22) und Thomas Müller (23) bekleiden allesamt wichtige Rollen in ihren Vereinen. Alle spielten schon in der Champions League. Özil kickt bei den Königlichen in Madrid, Götze brachte jene zum Verzweifeln, Müller war bei der WM 2010 erfolgreichster Torjäger und Draxler knackte zuletzt mit seinen 19 Jahren die Marke von 100 Pflichtspielen. Hinzu kommt, dass kein anderes Land so erfolgreich junge Torhüter hervorbringt wie Deutschland. In acht Bundesliga-Klubs steht ein unter 25-jähriger Schlussmann im Kasten. Nicht zu Unrecht wird von der "goldenen Generation" gesprochen.

Trotz Talenten en masse ist jedoch kein echter Mittelstürmer unter den Genannten zu finden. Das ist die einzige, aber große Baustelle in der deutschen Nationalmannschaft.

Kaum Alternativen im Sturmzentrum

Kloses wenig prominente Erben heißen Julian Schieber (24), Alexander Esswein (22), Kevin Volland (20), Peniel Mlapa (22), Sebastian Polter (21), Nils Petersen (24), Pierre Michel Lasogga (21), Philipp Hofmann (19) und Samed Yesil (18). Wer nach einem kompletten Angreifer Ausschau hält, sucht vergeblich. Der Begriff des "klassischen Mittelstürmers" wurde für die Suche bereits bis auf das Äußerste ausgedehnt. Nur Volland (Hoffenheim) und Petersen (Bremen) sind Stammspieler. In der Königsklasse spielte mit Dortmund-Reservist Schieber lediglich ein Nachwuchsstürmer.

"In der Bundesliga mangelt es an typischen Zentrumsstürmern", erkannte Löws Assistent Hansi Flick bereits im vergangenen Jahr. Dieses Problem sei nicht von heute auf morgen zu lösen, meinte Löw. Längst ist DFB-Sportdirektor Robin Dutt angehalten, verstärkt nach Deutschlands Stürmern zu suchen und diese zu fördern.

Der Mittelstürmer stirbt aus

Keine leichte Aufgabe. Der Mittelstürmer stirbt aus, nicht nur, aber insbesondere in Deutschland. Löw hofft zwar "langfristig" auf Besserung, probte aber gegen Niederlande und Frankreich schon den Ernstfall. Im Hinblick auf die WM 2014 stellt sich die Frage: Braucht Deutschland überhaupt einen Mittelstürmer? Der FC Barcelona praktiziert längst ein System ohne Sturmtank, Welt- und Europameister Spanien hat bereits bei den Katalanen abgekupfert.

Auch Deutschland kann dieses System spielen. In Reus, Götze, Schürrle, Draxler, Müller und Lukas Podolski (27) stehen Löw gleich sechs Offensivkräfte zur Verfügung, die die perfekten Voraussetzungen für ein solches System mitbringen. Sie sind schnell, flexibel, beweglich, trickreich und abschlussstark. Die linke und rechte Außenbahn sowie die vakante Position vor dem gesetzten Özil könnten die oben genannten einnehmen und dabei situationsabhängig rotieren. Im Spiel gegen Kasachstan (Freitag, 19 Uhr/ live in unserem Ticker) ist solch eine moderne Aufstellung mit spielstarken Akteuren, die "den Ball auch auf engstem Raum sehr gut behaupten", denkbar. "Es ist eine Möglichkeit, Mario Götze vorne spiele zu lassen", bestätigte Flick am Dienstag.

Bis zur Weltmeisterschaft 2014 will Löw das System mit einem spielenden Stürmer, auch "falsche Neun" genannt, als Alternative perfektionieren. Mangels Konkurrenz dürfte bei Altstar Klose und Bayern-Reservist Gomez das Flugticket nach Brasilien zwar schon auf dem Schreibtisch liegen. Spätestens nach dem Turnier aber wird das moderne 4-3-3 ohne Mittelstürmer mehr als eine vielversprechende Alternative sein. Ohne Altmeister Klose. Und vermutlich auch ohne Gomez. Denn beide gehören einer aussterbenden Gattung an.