Berlin. . Selten war eine Deutsche Nationalmannschaft qualitativ so breit, so gut aufgestellt wie die jetzige. Viele Spieler melden einen Stammplatz an, treten offen in Konkurrenz zu den Mitspielern. Darauf muss man reagieren. Die Mannschaft tut es, indem sie sich emanzipiert; der Trainer, indem er es akzeptiert.

Am Ende, als eigentlich alles gesagt war zum bevorstehenden WM-Qualifikationsspiel der deutschen Fußballnationalmannschaft gegen Schweden in Berlin (heute, 20.45 Uhr, live in der ARD), als der Gegner angemessen eingestuft war („gut organisiert“, „ganz andere Qualität als Irland“), dessen Schlüsselspieler Zlatan Ibrahimovic ausreichend gewürdigt war („herausragend, unberechenbar“) und das eigene Ziel Heimsieg klar umrissen war, da ergriff Bundestrainer Joachim Löw ungefragt nochmals das Wort in eigener Sache: Er habe sich bei seiner Kritik an BVB-Linksverteidiger Marcel Schmelzer unmittelbar vor dem Spiel in Irland „sehr, sehr unglücklich ausgedrückt", die Wortwahl habe „so nicht gepasst“ – und Löw beendete die Selbstkasteiung mit dem Satz: „Es war so nicht in Ordnung.“

Es war eine an diesem Tag unerwartete Entschuldigung, ein öffentlicher Bußgang. Denn zu den jüngsten Kritikpunkten am lange gepriesenen Joachim Löw gehörte schließlich, dass dieser nicht in der Lage sei, eigene Fehler auch klar als solche zu benennen, im Zweifel stets „Wir“ zu sagen, wenn ein „Ich“ angebracht wäre. Der auf die Frage, ob er sich angesichts der Kritik persönlich verändert habe, erst „nein“ sagt, um dann im Plural fortzufahren: „Wer uns kennt, weiß, dass wir immer versuchen uns zu verbessern, dass wir offen sind für konstruktive Kritik.“

Mannschaft ist qualitativ so gut besetzt wie selten

Nun aber demonstrierte Löw eine Form aufrichtiger Demut. Und vielleicht gehört diese neue Form des Umgangs auch zu den Dingen, die sich verändern aufgrund der neuen Statik im DFB-Team. Denn diese Mannschaft, auf fast allen Positionen in der Breite qualitativ so gut besetzt wie selten, vielleicht wie nie, macht eine Metamorphose durch. Sie emanzipiert sich ein Stück weit auch vom Trainer, vor allem aber vom gern gemalten Bild eines Wohlfühl-Teams, dem die Fußball-Republik staunend zuschaute, weil es so ganz anders zu funktionieren schien. Ohne Reibereien und Ränke, ohne den Hauch von Gruppenbildung, ohne das leiseste Gemurre.

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Die EM samt ihrer bis heute anhaltenden Nachwehen aber haben gezeigt: Diese DFB-Elf wird eine normale Mannschaft. Extrem begabt, extrem gut – und mit gängigen Konfliktlinien, die per se nichts Unheilvolles, sondern nur entsprechend zu moderieren sind. „Ich halte es für extrem wichtig, dass wir nun diesen Konkurrenzkampf haben“, betont Joachim Löw. Und in der Tat: Wer sich die Mühe macht, den DFB-Kader der umjubelten WM 2010 zu studieren, kann sich kaum wundern über eine veränderte Tonlage und Atmosphäre. Damals standen noch Spieler wie Tasci, Cacau, Trochowski, Aogo im Kader – Persönlichkeiten, bei denen auch der Bankplatz nicht zu dauerhafter Verstimmung führte.

Spieler mit Stammplatz-Anspruch

Nun aber drängen Spieler nach, die qua ihrer Position in ihren ambitionierten Klubs den Anspruch hegen (dürfen), auch den Adler auf der Brust zu tragen. Mario Götze, Toni Kroos, Jerome Boateng, Lukas Podolski, Per Mertesacker – sie alle sind Stammkräfte beim BVB, Bayern oder Arsenal, doch in der DFB-Elf bilden sie gerade die zweite Garde. Und manche, wie Kroos, vor zwei Jahren noch klagloser Ergänzungsspieler, formulieren ihren Anspruch inzwischen überdeutlich: „Ich habe das Selbstbewusstsein zu sagen, dass ich trotzdem irgendwie spielen sollte.“

Diese Mannschaft, das hat auch Kapitän Philipp Lahm zugestanden, „findet sich gerade neu“ – ein Prozess, der nach einem Turnier normal ist, im speziellen Fall aber eine zusätzliche Komponente erhält, dadurch, dass die Dortmunder Abteilung erstarkt ist – dank Mats Hummels, Marco Reus und der vorläufigen Stammplatzgarantie für Marcel Schmelzer.

Die Spieler werden mutiger, halten Widerspruch aus

Diese neue Statik erfordert von allen, vor allem von Bundestrainer Joachim Löw eine veränderte Ansprache, eine neue Form der Moderation. Auf der Führungsebene der Nationalspieler hat dieser Prozess längst eingesetzt: Bastian Schweinsteiger lässt sich in seiner Teamgeist-Kritik auch durch einem leichten Rüffel des Bundestrainers nicht beirren – und Philipp Lahm, als Kapitän hierarchische Nummer eins, stützt den Münchner Kollegen: „Wenn Basti was sagt, müssen alle die Ohren aufmachen, dann müssen sich alle hinterfragen.“ Ohnehin, teilte Lahm am Montag per Kicker-Interview mit, empfinde er die Kritik „auch als Lob, weil von uns viel erwartet und uns auch der Titel zugetraut wurde. Kritik ist da ganz normal“.

Die Mannschaft, die Spieler werden offenkundig mutiger, halten Widerspruch aus, ducken sich nicht weg. Für den Erfolg, für einen ersehnten Titel ist diese Haltung keine schlechte Voraussetzung.