Minsk. In Weißrussland ist der Ukrainer ein Star, bei Bayern München nur Reservist: Anatoli Timoschtschuk genießt beim Champions-League-Ausflug nach Minsk die Aufmerksamkeit, die ihm im Alltag nicht zukommt.
Auf dem Flughafen hatten die ersten Fans gewartet, die nächste Gruppe stand eine Dreiviertelstunde später vor dem Hotel in der Innenstadt von Minsk. Die Spieler von Bayern München sind es gewohnt, auf ihren Reisen von Anhängern und Autogrammjägern empfangen zu werden, egal, wo sie hinkommen. Meist sind die Objekte der Begierde die üblichen Verdächtigen: Franck Ribery, Bastian Schweinsteiger oder Arjen Robben, wenn er nicht wie dieses Mal angeschlagen daheimbleiben musste. Beim Champions-League-Trip nach Weißrussland (ab 20.45 im Liveticker auf DerWesten.de), wo die Bayern am Dienstagabend gegen Bate Borissow ihr zweites Gruppenspiel austragen, ist das anders. Da gehört ein Spieler zu den gefragtesten, der in dieser Saison bisher kaum zum Einsatz gekommen ist: Anatoli Timoschtschuk genießt in Weißrussland den Status eines Stars.
Timoschtschuks Reise in die Vergangenheit
Als Ukrainer ist er den Fußball-Interessierten des Landes eben näher als die anderen Bayern-Profis. Er spricht die gleiche Sprache und hat auch schon mal gegen Borissow gespielt, vor vier Jahren mit Zenit St. Petersburg.
Für Timoschtschuk ist der Ausflug nach Minsk aber auch eine Reise in die Vergangenheit. Früher sei er oft mit seiner Familie in Minsk gewesen. "Ich kenne die politische Situation hier gut", sagte der Ukrainer, ohne sich näher darüber auszulassen. Das Regime in Weißrussland gilt als letzte Diktatur Europas. "Ein paar Leute wollten ein Autogramm von mir. Das war sehr schön", erzählte der 33-Jährige am Montag auf der Pressekonferenz.
Der fast perfekte Ersatzspieler
Timoschtschuk lächelte dabei. Die Zuneigung, das Interesse scheint er zu genießen. Denn bei Bayern läuft es nicht gut für ihn. Genaugenommen ist es seit seinem Wechsel von St. Petersburg nach München im Sommer 2009 noch nie besonders gut gelaufen. Sein erster Trainer beim Rekordmeister, Louis van Gaal, setzte nur auf ihn, wenn Not am Mann war. Und dann musste Timoschtschuk meist in der Innenverteidigung aushelfen statt auf seiner Lieblingsposition im defensiven Mittelfeld. "Wenn mich der Trainer da sieht, nehme ich das an", sagte er damals. Mit Jupp Heynckes wurde es in der vergangenen Saison besser. Da erfuhr Timoschtschuk mehr Wertschätzung, allerdings sehr viel häufiger zum Einsatz kam er trotzdem nicht.
Für Heynckes ist Timoschtschuk so etwas wie der fast perfekte Ersatzspieler. Er hat sich nur einmal in den drei Jahren in München beschwert, allerdings sehr zurückhaltend. Und wenn er spielt, dann fast immer solide. Eine seiner besten Leistungen bei Bayern zeigte der ukrainische Nationalspieler allerdings als Innenverteidiger. Im Champions-League-Finale gegen den FC Chelsea im vergangenen Mai hatte er den gesperrten Holger Badstuber glänzend vertreten. Als dann aber Heynckes nach Schützen für das Elfmeterschießen fahndete, lehnte er ab. Timoschtschuk schüttelte vehement den Kopf, immer wieder und gut sichtbar für die Zuschauer im Stadion.
Durch Martinez-Verpflichtung ist Timoschtschuk chancenlos
Dass er in diesem Moment keine Verantwortung übernehmen wollte, steigerte sein Ansehen bei den Bayern kaum. Die Verantwortlichen hätten ihn nach dem Wechsel von Javier Martinez im August abgegeben. Aber Timoschtschuk machte keine Anstalten, obwohl er wusste, dass seine Einsatzchancen mit der Verpflichtung des spanischen Nationalspielers aus Bilbao noch kleiner geworden sind. Er entschied sich, seinen bis Saisonende laufenden Vertrag zu erfüllen - wenn es sein muss, auf der Ersatzbank. (dapd)