Fußball ist nicht die schönste, sondern die am meisten überbewertete Sache der Welt. Dieser Sport interessiert mich nicht.
Meine Liebe zum Fußball erlosch, noch bevor sie entflammen konnte. Es war an einem warmen Apriltag, als wir mit unserer Mutter ins Krankenhaus eilen mussten, um meinen verletzten Cousin zu sehen. Er musste wegen eines Messerstichs im Rücken operiert werden. Ich war damals sieben, er zwölf Jahre alt. Aber er war mit dem falschen Trikots zur falschen Zeit am falschen Ort. Ein so genannter Anhänger des rivalisierenden Stadtvereins war auf ihn losgegangen, weil er den Anblick eines Leibchens des anderen Fußballclubs nicht ertragen konnte. Vor Gericht sagte er, dass er auch aus Liebe zu seinem Verein gehandelt habe.
Keine zwanzig Jahre später fand ich mich im Stadion der Eintracht wieder. Der Block der Frankfurter, in dem ich mich wieder fand, tat alles, damit die Bayern aus München nicht das Gefühl bekamen, zu Gast bei Freunden zu sein. Die Affenlaute in Richtung des Tors von Oliver Kahn waren das eine. Die rassistischen Beschimpfungen gegen farbige Spieler das andere, das absolut Unerträgliche. Übergeben musste ich mich aber erst, als mich die Faust eines Glatzkopfs mit Springerstiefeln in die Magengrube traf. Der Schlag kam ohne Vorwarnung und ohne ersichtlichen Grund. An diese Situation musste ich denken, als ich ein Interview mit Berti Vogts mit dem markigen Satz las: „Emotionen gehören ins Schlafzimmer und nicht ins Stadion.“ Seitdem mag ich mir weder vorstellen, was in einigen Schlafzimmern los ist – und auch nicht mehr ins Stadion gehen.
Irrationale Visionen
Jedenfalls weiß ich seit diesen beiden Erlebnissen, was Hass ist. Deshalb würde auch nie behaupten, dass ich Fußball hasse. Er interessiert mich einfach nicht mehr. Fan-Initiaven hin, Spielkultur und Ballkünste her. Wenn ich etwas von diesem Sport mitbekomme, dann nur, wenn es in Nahverkehrszügen an Wochenenden nach Bier riecht. Oder wenn es auf den Autobahnen an Spieltagen selbst mit besten Dribbelkünsten auf vier Rädern kein Fortkommen gibt. Wenn Fußball einmal die schönste Nebensache der Welt gewesen ist, dann ist sie jetzt die, die am meisten überbewertet ist. Jedenfalls kann ich mir nicht erklären, weshalb erwachsene Menschen bei Wörtern wie Bundesligastart, Meisterschaft und Derby unter hektischen Flecken, feuchten Händen und irrationalen Visionen (diesmal holt Schalke die Schale) zu leiden beginnen. Bundesligazeit ist Leidenszeit. Es gibt Kollegen, die sind für sechs Tage lang eine Zumutung für ihre soziales Umfeld, wenn ihr Verein nicht die erhoffte Leistung bringt. Und andere sind aufgedreht wie frisch gebackene Eltern, weil ihre Lieblingskicker irgendeinen Favoriten geschlagen haben.
Beim Spiel auf dem Platz hätte er zum ersten Mal begriffen, was Zivilisation bedeutet, schrieb der französischen Philosoph Albert Camus. Ich habe es nicht verstanden. Vielleicht habe ich zu viel Tennis gespielt und zu wenig den Kicker gemimt. Vielleicht schreckt auch nur die Vorstellung, dass Zivilisation nur eine dünne Eisdecke auf einem Vulkan ist, die manchmal keine 90 Spielminuten hält. Am Freitag ist Anpfiff. Ich pfeif drauf.