Essen. Letzte Bewährungsprobe vor der EM oder Abschiedsspiel? Werder Bremens Torwart Tim Wiese sieht sich vor dem Testspiel gegen Frankreich als „klare Nummer zwei hinter Manuel Neuer“. Aber sieht dies auch Joachim Löw so? Ein Kommentar.

Er hat nie unter Otto Rehhagel gespielt – aber wer ihn reden hört, könnte glatt auf die Idee kommen. „Mit dem Begriff moderner Torwart“, sagt Tim Wiese, „kann ich nicht viel anfangen. Modern ist für mich der, der die meisten Bälle hält.“ Das klingt nach dem bekannten Otto-Motto: Nicht Jung oder Alt zählt, sondern gut oder schlecht.

So einfach kann man es sich jedoch in der Torwartfrage nicht machen. Durch veränderte taktische Systeme hat sich die Rolle des Keepers im Laufe der Jahre dramatisch gewandelt. Die Generation der Manuel Neuer, Marc-Andre ter Stegen, Ron-Robert Zieler oder Bernd Leno übt heute zusätzlich eine Art Libero-Rolle aus und sorgt mit schnellen, präzisen Abwürfen für ein erhöhtes Spieltempo. Vor diesem Hintergrund kann ein Tim Wiese mit seinen unstrittigen Stärken auf der Linie nur noch bedingt punkten.

Noch weiß niemand, welche Konsequenzen Joachim Löw daraus für die EM zieht. Seine Aussagen lassen sich in jede Richtung interpretieren. Versteht sich von selbst, dass der Werder-Torhüter vor allem die für ihn positiven Hinweise sieht und daraus folgert: „Ich sehe mich als klare Nummer zwei.“

Ansehnliches Abschiedsspiel?

Interessant wird es erst bei Wieses Nachsatz: „Mir ist nichts anderes gesagt worden.“

Es wäre nicht das erste Mal, dass ein Nationalspieler (Frings, Ballack) unter Joachim Löw als Letzter davon erführe, dass seine Zeit im DFB-Team abgelaufen ist. Sollte es die Absicht des Bundestrainers sein, dem 30-jährigen mit dem Spiel gegen Frankreich (Mittwoch, 20.45 Uhr, live im DerWesten-Ticker) in Bremen ein ansehnliches Abschiedsspiel zu schenken, ließe sich unter sportlichen Aspekten wenig dagegen einwenden. Anders sähe es aus, würde er Wiese wider besseres Wissen im Glauben lassen für die bevorstehende Europameisterschaft gesetzt zu sein.