Essen. . Während Dortmunds Ilkay Gündogan und Schalkes Lewis Holtby zum DFB stehen, träumt Deutschlands U21-Nationalspieler Diego Contento von der italienischen Squadra Azzurra und Hoffenheims Fabian Johnson steht vor seinem US-Debüt.

Als ein gewisser Sean Dundee im Januar 1997 den deutschen Pass im Eilverfahren erhielt, herrschte große Erleichterung im Land des damaligen Fußball-Europameisters. Schließlich war der Mann mit dem unvermeidlichen Spitznamen "Crocodile" damals einer der besten Stürmer der Bundesliga und würde fortan mit dem Adler auf der Brust auf Torejagd gehen. Dundee lief nie für Deutschland auf, und aus heutiger Sicht mutet die damalige Euphorie ein wenig surreal an. Denn das Bild hat sich gewandelt.

Statt dass Südafrikaner wie Dundee oder Brasilianer wie Paulo Rink nach ihren deutschen Wurzeln suchen, durchforsten deutsche Junioren-Nationalspieler ihren Stammbaum nach Verwandtschaft im Ausland. Der Grund: das Überangebot an begabten Nachwuchsspielern in Deutschland. Der jüngste Export ist der Hoffenheimer Fabian Johnson. Vor zwei Jahren wurde der 23-Jährige noch im DFB-Trikot U21-Europameister, künftig wird er für die USA auflaufen.

Khedira ist stolz, Contento träumt von Italien

"Jeder ist stolz, für sein Vaterland zu spielen", sagt Johnson, dessen Vater Charles Amerikaner ist. Sein US-Debüt verhinderte bisher nur die fehlende Genehmigung des Weltverbandes FIFA. Trudelt diese ein, "ist der DFB abgehakt", sagt Johnson, der so schnell wie möglich Nationalspieler werden will. Dass er von der U17 bis zur U21 alle deutschen Jugendteams durchlaufen hat, spielt offenbar nur eine untergeordnete Rolle.

Aufgerüttelt durch die derzeitige Talent-Schwemme in Deutschland, könnten einige andere Junioren-Nationalspieler dem DFB ebenfalls den Rücken kehren. Diego Contento von Bayern München macht keinen Hehl daraus, dass er auf einen Anruf von Italiens Nationaltrainer Cesare Prandelli hofft. "Wenn mich die Squadra irgendwann braucht, wäre ein Wechsel durchaus vorstellbar", sagt Contento.

Polen für Deutschland, Deutsche für Polen

Konstantin Rausch von Hannover 96 ist derweil hin- und hergerissen. Der gebürtige Russe liebäugelte vor geraumer Zeit damit, für sein Geburtsland bei der WM 2018 aufzulaufen. Mittlerweile hat er es sich offenbar anders überlegt. Er spiele in der deutschen U21 und fühle sich dort sehr wohl. Momentan hindert Bundestrainer Joachim Löw wohl nur das personelle Überangebot auf der linken Seite daran, Rausch zu seinem Debüt in der Nationalmannschaft zu verhelfen.

Andreas Beck, ebenfalls gebürtiger Russe, hatte sich auch für den DFB entschieden. Inzwischen spielt er bei Joachim Löw keine Rolle mehr. Für Sami Khedira stand das tunesische Trikot nie zur Debatte, der Abräumer von Real Madrid wollte sich stets in deutschen Teams durchsetzen. "Sogar mein Vater ist stolz darauf, dass ich für Deutschland spiele", berichtet er.

Dass das Nationalitätenwirrwarr manchmal seltsame Blüten treibt, ist beim Länderspiel der DFB-Auswahl am Dienstagabend in Polen für jeden ersichtlich. Die gebürtigen Polen Lukas Podolski und Miroslav Klose ziehen das deutsche Trikot an, während der frühere deutsche U21-Kapitän Eugen Polanski auf der Bank des EM-Gastgebers sitzt. Der in Sosnowitz geborene 25-Jährige sah wie auch Sebastian Boenisch beim DFB keine Chance auf einen Einsatz. Beide spielen nun für Polen.

Gündogan spielt für Deutschland, Sahin lieber für die Türkei

Polen "wildert" mangels eigener Talente derzeit in ganz Europa, um eine schlagkräftige Truppe zusammenzubekommen. Nationaltrainer Franciszek Smuda hatte Boenisch sechsmal pro Woche angerufen, eher der vor gut einem Jahr zusagte. Und auch das Dortmunder Talent Daniel Ginczek, derzeit an den VfL Bochum ausgeliehen, ist offenbar nicht abgeneigt, Boenisch zu folgen.

Vielen Türken, die in zweiter oder gar schon dritter Generation in Deutschland leben, geht es ähnlich wie Polanski und Co. Die Altintop-Brüder entschieden sich wie Nuri Sahin und Mehmet Ekici für die Türkei. Vor allem Sahin hätte wohl gute Aussichten auf einen Platz in der deutschen Nationalelf gehabt. Für Ilkay Gündogan gab es keinen Zweifel. "Ich will mich in der deutschen Elf durchsetzen. Alles andere ist für mich kein Thema", sagt der BVB-Profi.

Auch U21-Kapitän Lewis Holtby gibt offen zu, dass er zwar England in seinem Herzen trage, aber Deutschland die klare Nummer eins sei. Skurril wird es nur, wenn sich sogar Brüder nicht einig sind. Kevin-Prince Boateng entschied sich für Ghana und traf in der Vorrunde der WM in Südafrika auf seinen Bruder Jerome. Der trug jedoch das Trikot der deutschen Nationalmannschaft. (dapd)