Danzig. . Sucht man bei der deutschen Fußball-Nationalmannschaft nach dem berühmten Haar in der Suppe, dann kommt man schnell auf die Abwehr. Denn die Viererkette ist auf dem Weg zur EURO 2012 offenbar das größte Versuchsfeld von Bundestrainer Joachim Löw.

Über die Verlierer wurde am Wochenende nicht gesprochen. Dennoch warf der tolle 6:2-Triumph gegen Österreich bei der deutschen Fußball-Nationalmannschaft auch viele Fragen auf. Die gelungene Qualifikation für die EURO 2012 konnte die eklatanten Schwächen in der deutschen Viererkette nicht übertünchen, auch wenn Joachim Löw angesichts der souveränen EM-Qualifikation über die Schwachstelle Defensive wohlwollend hinwegsah.

Dem Bundestrainer ist nicht entgangenen, dass seine beiden Innenverteidger Holger Badstuber und Mats Hummels bei den Gegentreffern keine gute Figur machten, Kapitän Lahm auf der linken Seite der Viererkette einige Male patzte und Benedikt Höwedes auf seiner ungewohnten Position als rechter Außenverteidiger hölzern agierte.

Per Mertesacker in der Innenverteidigung

Schon am Dienstag in Danzig gegen EM-Gastgeber Polen (20.45 Uhr/ZDF und im DerWesten-Ticker) wird Routinier Per Mertesacker wieder in die Innenverteidigung rücken, der in den vergangenen Jahren eigentlich immer gesetzt war und nach wie vor das Vertrauen von Löw genießt. „Ich weiß, was ich an ihm habe. Per hat bei Turnieren immer konstant gut gespielt“, sagte der Bundestrainer über den ehemaligen Bremer, der in der vergangenen Woche zum FC Arsenal nach London gewechselt ist.

Der 75-malige Nationalspieler geht fest davon aus, dass er auch bei der EM im kommenden Sommer in Polen und der Ukraine zum Stammpersonal zählt: „Ich denke, der Bundestrainer weiß, dass er sich auf mich verlassen kann.“ Wer an seiner Seite, die lange Zeit für Christoph Metzelder reserviert war, spielt, ist aber noch völlig offen. Nach dem Seitenwechsel von Lahm, der als einziger auf links in der Abwehrreihe seinen Platz wohl ganz sicher hat und damit BVB-Profi Marcel Schmelzer auf lange Zeit ins zweite Glied verdrängt, wird auch die rechte Flanke in den kommenden Länderspielen zum Experimentierfeld.

Der ehemalige England-Legionär Boateng wurde von Bayern München als Innenverteidiger verpflichtet, kommt bei der DFB-Auswahl aber auch für die rechte Seite infrage. Gegen Österreich löste er Benedikt Höwedes nach der Pause auf dieser Position ab. Der Schalker spielt im Klub ebenso wie Boateng zentral, muss sich im Nationaltrikot umstellen. „Ich muss von einem Nationalspieler erwarten können, dass er nicht nur eine Position spielen kann“, sagt Löw, der auch von seinen Abwehrspielern Flexibilität verlangt.

Heiko Westermann spielt keine Roll mehr

In den kommenden Monaten muss der Bundestrainer aber vor allem die Baustelle Viererkette schließen, denn mit einer Notlösung wird der Angriff auf den EM-Thron bedeutend schwieriger. Das bei der WM weitgehend überzeugende Innenverteidiger-Duo Mertesacker/Arne Friedrich ist Geschichte, und auch ein Heiko Westermann spielt wohl in den Planungen von Löw keine Rolle mehr.

Gegen Polen könnte Boateng wieder in die Innenverteidigung rücken. „Ich weiß natürlich, dass seine größte Stärke im Zentrum liegt. Er ist ein Spieler, den man aber auch mal rechts oder links einsetzen kann wie bei der WM“, sagt Löw über den früheren Hamburger. Sollte Boateng innen spielen, würde davon wohl Christian Träsch profitieren, der die ehemalige Lahm-Rolle gerne dauerhaft ausfüllen würde.

Einen Stein im Brett beim Bundestrainer hat aber offenbar Badstuber, der bei der WM noch reichlich Lehrgeld zahlte und nach zwei Spielen wieder in die Abteilung Reserve verschwand. Nach Meinung von Löw hat der 22-Jährige in der vergangenen Saison enorme Fortschritte gemacht, gerade auch in der Spieleröffnung, die für den Bundestrainer ebenso wichtig wie das intelligente Abwehrverhalten ist. Gegen Österreich bereitete der Münchner zwar das 3:0 von Lukas Podolski klasse vor, dafür haperte es erneut beim Stellungsspiel und auch im Zusammenspiel mit Hummels. Der Dortmunder Meister-Spieler konnte bei seinen bisherigen neun Einsätzen im DFB-Trikot noch nicht so überzeugen wie im BVB-Trikot.

Namen wie Clemens Fritz, Andreas Beck oder Gonzalo Castro, einst mögliche Alternativen auf rechts, oder die Linken Marcell Jansen, Marcel Schäfer und Dennis Aogo tauchen bei den Diskussionen derzeit gar nicht mehr auf. (sid)