Düsseldorf. . Oliver Bierhoff sieht die DFB-Auswahl inzwischen auf Augenhöhe mit Welt- und Europameister Spanien. Im Interview äußert sich Bierhoff über die Entwicklung des Teams, die Ansprüche der jungen Generation
Oliver Bierhoff, Manager der deutschen Fußball-Nationalmannschaft, sieht die DFB-Auswahl inzwischen auf Augenhöhe mit Welt- und Europameister Spanien. Im Interview äußert sich Bierhoff über die Entwicklung des Teams, die Ansprüche der jungen Generation, die Diskussion um die Hierarchie und die Chancen der Bundesligisten in der Champions League.
Oliver Bierhoff, wie sehen Sie die jüngste Entwicklung der deutschen Fußball-Nationalmannschaft?
Oliver Bierhoff: Nach der EM 2008 gab es einen weiteren Schub. Wir haben neue junge Spieler eingebaut, vor allem unsere U21-Europameister. Sie haben nun schon eine WM gespielt. Jetzt wurden nochmals Talente und Spieler mit guten Perspektiven integriert: Götze, Hummels, Schürrle oder Höwedes. Die Mannschaft ist technisch sehr stark, sie ist frisch, jung, dynamisch.
Joachim Löw hat inzwischen eine sehr große Auswahl. Es wird schon von einem Luxusproblem gesprochen...
Bierhoff: Ein Luxusproblem hat er sicher nicht. Er ist aber weiter darauf bedacht, den Konkurrenzkampf hochzuhalten. Keiner darf das Gefühl haben, dass er sich ausruhen darf. Der Konkurrenzkampf macht auch den etablierten Spielern Beine. Wir haben es geschafft, dass jeder in die Mannschaft will - und der Ehrgeiz ist bei allen groß.
Spanien ist Welt- und Europameister. Wie weit ist die deutsche Elf von den Spaniern entfernt?
Bierhoff: Im Vergleich fehlte uns noch, dass Spanien auf allen Positionen gleich stark besetzt war. Wir haben jetzt aber auf einigen Positionen, gerade im kreativen Bereich, wenn man sich Özil, Götze oder Kroos anschaut, aufgeholt und Spieler mit hoher technischer Qualität.
Heißt das, dass Deutschland bei der EM 2012 wieder einmal reif für einen Titel ist?
Bierhoff: Man darf auch die Niederländer nicht außer Acht lassen, die die Nummer eins der FIFA-Weltrangliste sind. Aber die Spanier sind natürlich derzeit das Maß der Dinge. Wir waren bei der WM schon einen Schritt weiter als bei der EM. Wir sind jetzt sehr nah dran an ihnen, aber dieses kleine Stück müssen wir uns noch erarbeiten. Und man spürt auch, dass unser Team unbedingt will.
Woran merken Sie das?
Bierhoff: Nach unserem dritten Platz bei der WM in Südafrika gab es Überlegungen, ob wir uns in Deutschland wieder den Fans präsentieren. Da haben die Spieler gesagt, dass sie das nach den Feiern mit den Fans am Brandenburger Tor nach der WM 2006 und der EM 2008 diesmal nicht möchten. Sie wollen sich den Fans mit einem Pokal präsentieren. Sie wissen, dass sie das drauf haben - und haben deshalb diesen Anspruch.
Ist die junge Mannschaft diesem Druck gewachsen?
Bierhoff: Man braucht diesen Druck, diese Anspannung. Wenn man als deutsche Mannschaft mit diesem Potenzial nicht solche hohen Ansprüche hätte, wäre das verkehrt. Vor der WM wussten wir nicht genau, wo wir stehen. Deshalb haben wir uns mit Prognosen zurückgehalten. Jetzt sind wir einen Schritt weiter. Wir spielen eine souveräne EM-Qualifikation. Die Spieler machen in ihren Vereinen eine Entwicklung, sammeln internationale Erfahrung. Deshalb ist es doch nicht unrealistisch, wenn wir uns hinstellen und sagen, dass wir Europameister werden wollen.
Zuletzt gab es wieder einmal eine Diskussion um die Hierarchie. Hat Deutschland seit 1996 keinen Titel mehr geholt, weil die Hierarchie fehlte?
Bierhoff: Diese Diskussion wurde sehr einseitig geführt. Da wurden alte Zeiten glorifiziert. Man muss einfach der Tatsache Rechnung tragen, dass sich die Zeiten geändert haben. Natürlich braucht jede Manschaft Führungsspieler, auch wir fördern das. Aber die Persönlichkeiten früher waren andere als heute. Der Umgang ist anders geworden, die Anforderungen sind viel komplexer. Ich bin aber überzeugt, dass wir die Führungsspieler haben, um Titel zu holen.
Vor dem Brasilien-Länderspiel gab es wieder einmal Kritik an dem Zeitpunkt. Was entgegnen Sie?
Bierhoff: Die Kritik gab es nur vor dem Spiel. Nach unserem tollen Auftritt habe ich nichts mehr gehört. Aber solche Diskussionen sind doch nicht neu, ich sehe das entspannt. Ich glaube aber, dass solche Länderspiele, gerade wie wir sie gestalten, für die Entwicklung der Spieler von immenser Bedeutung sind. Wir spielen gegen Topteams wie Brasilien, Argentinien, Frankreich, die Niederlande. Das sind wichtige Meilensteine und bringt die Jungs weiter. Ein Länderspiel gegen Brasilien ist etwa für Mario Götze wertvoller als ein Training in Dortmund - bei allem Respekt vor der Arbeit von Jürgen Klopp.
Mit einem Sieg am Freitag gegen Österreich wäre die deutsche Nationalmannschaft für die EM qualifiziert. Sind Ihre Planungen in Bezug auf Quartier und Vorbereitungsphase schon abgeschlossen?
Spielführer der DFB-Elf
Bierhoff: Wir haben natürlich ein Konzept. Was das EM-Quartier angeht, sind unsere Gesprächen sehr weit fortgeschritten.
Es ist kein Geheimnis, dass sie ein EM-Quartier in Polen favorisieren.
Bierhoff: Das habe ich schon einige Male gesagt. Polen ist einfach von der Infrastruktur besser für uns.
Wir wird die unmittelbare Vorbereitung auf das Turnier aussehen?
Bierhoff: Es sind zwei Länderspiele geplant. Was die Trainingslager betrifft: Wir wollen uns auf jeden Fall wieder im Süden Europas vorbereiten. Da hat man ein gutes Klima, eine gute Atmosphäre, viel Sonne.
Wie schnell werden Sie nach überstandener Qualifikation die Planungen abschließen?
Bierhoff: Möglichst schnell. Ich hoffe, dass wir zwei, drei Wochen nach der Qualifikation die Ergebnisse präsentieren können.
Haben Sie Zweifel, dass noch etwas schiefgehen könnte?
Bierhoff: Wir möchten so schnell wie möglich den Deckel draufmachen, am liebsten am Freitag gegen Österreich, um auch als Mannschaft weiter zu wachsen.
Wie sehr stören Nebengeräusche wie die Diskussion um das Buch von Kapitän Philipp Lahm?
Bierhoff: Sie sind einfach unnötig. Sie kosten viel Zeit und Kraft, die man eigentlich für die weitere sportliche Entwicklung der Mannschaft aufwenden könnte. Aber in der Vorbereitung auf das Spiel gegen Österreich ist das kein Problem und auch kein Thema mehr.
Was trauen Sie den Bundesliga-Teams in der Champions und Europa League zu?
Bierhoff: In der Champions League traue ich allen drei Team zu, dass sie die Gruppenphase überstehen. Dann wird die Luft natürlich dünn, aber alles ist möglich. Interessant wird außerdem sein, wie sich Schalke und Hannover in der Europa League schlagen. Sie haben die Chance, weit zu kommen.
Ist Barcelona in der Königsklasse überhaupt zu stoppen?
Bierhoff: Das wird sehr schwer. Die spielen so stark und sind so geschlossen. Aber es ist auch eine Chance für Bayern, Leverkusen und Dortmund, dass die anderen Mannschaften nicht so dominant sind - ob Real, ManU oder Chelsea. Da ist aus meiner Sicht keine Mannschaft außer Barcelona, die nicht auch schlagbar wäre. Ein Finale in München mit einer deutschen Mannschaft und Barcelona wäre natürlich ein Traum. (sid)