Düsseldorf. Bundestrainer Joachim Löw kritisiert Philipp Lahms Trainerkritik – und schwärmt vom Charakter seines Kapitäns. In seinem Buch „Der feine Unterschied“ hatte Lahm derbe Urteile über Trainer und Ex-Trainer wie Rudi Völler und Jürgen Klinsmann gefällt.

Zu Beginn der letzten Mai-Woche des Jahres 2010 wusste jeder, der sich in der Häschenschule die Ohren nicht mit Wachs zugestopft hatte, wer die Ehre haben würde, die Nationalmannschaft bei der Weltmeisterschaft in Südafrika als Kapitän anzuführen. Philipp Lahm. Lahm sollte der Ersatzkapitän für den so unglücklich verletzten langjährigen Capitano und Weltstar Michael Ballack sein. Bundestrainer Joachim Löw ließ sich aber nicht zur offiziellen Verkündigung drängen. Er legte sich auf einen Tag fest, auf den Donnerstag. Am Donnerstag wollte er festlich erklären, wen er als Bindenträger auserkoren hatte. Dass es Freitag wurde, war dann nicht auf Probleme des Bundestrainers beim Öffnen von Zeitfenstern zurückzuführen.

Löw hat nicht viele Möglichkeiten, auf mediales Geschehen einzuwirken. Was er kann, ist: sauer reagieren. Und er war sauer. Sauer, weil die Bild-Zeitung das, was als noch nicht bestätigte Wahrheit schon überall hinausposaunt war, mit Berufung auf Nationalelfkreise als beschlossen vermeldet hatte. Gab es einen Maulwurf? Hatte irgendjemand aus der Höhle, in der die Interna lagern, die wichtige Botschaft geraubt und war damit an das Licht der Öffentlichkeit gekrabbelt? Und wenn: Wer konnte das gewesen sein? Wem wird der Bundestrainer seine Entscheidung bereits mitgeteilt haben?

In der letzten Augustwoche des Jahres 2011, am gestrigen Dienstag, hat Joachim Löw noch einmal betont, dass Interna-Raub für ihn auf der Liste der möglichen Sündenfälle eines Nationalspielers ganz oben steht. Er hat es indirekt getan. Er hat mit diversen Einleitungsvariationen („Ich finde es nicht gut“, „Ich finde es nicht in Ordnung“, „Ich finde es nicht glücklich“) sein Missvergnügen darüber zum Ausdruck gebracht, dass Lahm in seinem Buch „Der feine Unterschied“ derbe Urteile über Trainer und Ex-Trainer wie Rudi Völler und Jürgen Klinsmann fällt. Er hat aber auch begründet, warum er nicht daran denke, den 27-Jährigen von der Brücke des Nationalelfdampfers zu stoßen: „Philipp hat keine Interna aus der Mannschaft preisgegeben.“

Löw wirkte angenervt

Wie Lahm die steile Treppe hoch zum Kommandostand des deutschen Teams mit der größten Strahlkraft bewältigte, ist in diesem Zusammenhang auch interessant. Der Bundestrainer wirkte angenervt gestern am Dienstag im Düsseldorfer Congress-Center, als er ein paar Meter entfernt von Lahm sitzend versuchte, die versammelten Journalisten im Zusammenhang mit der am Freitagabend in Gelsenkirchen anberaumten EM-Qualifikationspartie gegen Österreich für fußballspezifische Themen zu begeistern. Und angenervt war er, weil „immer wieder andere Themen bei der Nationalmannschaft tagelang diskutiert“ würden. Löws Beispiel „Ballack-Debatte“ kann allerdings nur als inhaltlich korrekt durchgehen. Auf dem Zeitstrahl hätte er Monate abstecken müssen. Die Ballack-Debatte wird nämlich intensiv abgearbeitet seit Anfang Juli 2010, seit Lahm in Südafrika im Interview mit unter anderem der Bild-Zeitung offenbarte, dass er keineswegs beabsichtige, sein neues Amt wieder aufzugeben. Das war die Ouvertüre zur anschließenden opernhaft dramatischen Balle-Demontage.

Damals musste Lahm nicht reumütig zurückziehen. Der Bundestrainer wird die brisante Gesprächspassage also gekannt und für sein langfristiges strategisches Vorgehen als nützlich eingeordnet haben. Diesmal jedoch war Löw nicht Leser. Dass Lahm unter anderem Ex-Teamchef Völler in „Der feine Unterschied“ vorgeworfen hat, die Nationalelf zum Faulenzertrüppchen umorganisiert zu haben, entnahm er wie andere den Vorabdrucken von Teilen des Buches in der Bild-Zeitung. Auf die möchte sein Noch-immer-Kapitän nichts kommen lassen. „Dass ich alle Zitate so geschrieben habe, das ist mir schon klar“, sagte er. Und zur Besänftigung des Bundestrainers fügte er an, dass er Kritik an Trainern aber künftig nicht mehr äußern werde: „Das muss ich mir ankreiden lassen. Das wird mir in Zukunft sicher nicht mehr passieren.“

So lernt Lahm weiter dazu auf der höheren Schule. Und Löw will diesen Lernprozess auch immer weiter positiv begleiten, weil er „Philipp als authentisch, ehrlich, klar“ kenne. „Bild“ hatte dem Bundestrainer sogar schon vor dessen Bestätigung des „vertrauensvollen Verhältnisses“ zu seinem Schüler gratuliert: „Lahm bleibt Löws Kapitän. Und das ist für Fußball-Deutschland eine sehr gute Nachricht.“