Wolfsburg. . Deutschlands Frauen scheitern bei der Weltmeisterschaft schon im Viertelfinale an Japan – und verpassen auch die Olympischen Spiele 2012 in London. Das hat jede und jeden völlig unerwartet erwischt.
Lira Bajramaj ist auch in diesem Moment eine wie keine. Um sie herum ist gerade eine Welt zusammen gebrochen, und eigentlich ist nichts übrig geblieben außer einer großen Leere. Es ist die Stunde der hängenden Schultern, der leisen Stimmen, der müden Blicke, die nach Halt suchen. Lira Bajramaj steht daneben wie ein Leuchtturm in einem Meer aus Tränen: ein bisschen einsam, immer fotogen, ein wenig kühl und irgendwie unerreichbar. Und dann sagt sie den Satz des Abends: „Ich kann nicht fassen, dass die anderen unser Turnier weiterspielen.“
Zwanziger tröstet
Vielleicht ist es ihr gar nicht bewusst, aber die 23-Jährige bringt damit alles auf den Punkt. Wenn die deutsche Frauen-Nationalmannschaft an diesem Abend in Wolfsburg gegen Japan auch nur halb so gut getroffen hätte wie Bajramaj, wäre jetzt alles anders. Alles normal. Alles so, wie es sein sollte. Sein musste.
Aber es ist etwas passiert, worauf niemand vorbereitet war: Deutschland ist tatsächlich schon im Viertelfinale ausgeschieden. Nun steht man da mit einer langen Woche Frauenfußball-WM im eigenen Land. Ein bisschen fühlt es sich an wie eine Party, bei der sich der Gastgeber verabschiedet hat und keiner weiß, ob man noch eine Flasche aufmachen darf. Dieses 0:1 nach Verlängerung gegen Japan hat alle tief getroffen, aber es wird wohl noch ein, zwei Tage dauern, bis das jeder Spielerin klar wird. Zunächst hat es jede und jeden völlig unerwartet erwischt.
Natürlich, es gab Tränen nach diesem Aus. Inka Grings hat nach dem Abpfiff Rotz und Wasser geheult. Ihre Duisburger Vereinskollegin Simone Laudehr lag lange noch auf dem Rasen des Wolfsburger Stadions, irgendwann hockte sich Teampsychologe Arno Schimpf neben sie und redete vorsichtig auf Laudehr ein. Als sie später durch den stickig-feuchten Keller des Stadions geht, blass und verweint, sagt sie: „Was soll ich denn jetzt zu Hause?“
Neben ihr steht Nadine Angerer, die Torhüterin. Sie hat wieder eine ihrer Mützen auf, es war mal ein Tick, inzwischen gilt es als Symbol für den großen Freigeist im Team. Aber selbst Angerer wirkte in den vergangenen 14 Tagen beeindruckt vom Rummel im eigenen Land. Sie hat nicht das ausgestrahlt, was alle erwartet haben, sie hatte auch beim entscheidenden 0:1 durch Karina Maruyama in der Verlängerung keinen glücklichen Moment. Nun sucht sie, was selten genug vorkommt, nach Worten: „Es ist vollkommen surreal“, sagt sie schließlich. Unwirklich. Dann fügt sie hinzu, dass sie gerne den Koffer packen und nach Frankfurt fahren würde. Genau das tut sie ein paar Stunden später, sie lebt dort. Was sie gemeint hat: In Frankfurt steht am Mittwoch das Halbfinale an. Aber nun heißt es Japan gegen Schweden. Was sich bei den meisten Spielerinnen auch erst langsam setzen wird: Sie haben durch die Niederlage auch die Teilnahme an Olympia 2012 in London verspielt. Nur die beiden besten europäischen Teams dieser WM werden dabei sein: die Halbfinalisten Schweden und Frankreich. Auch aus diesem Traum ist man gefallen.
Theo Zwanziger, der DFB-Präsident mit dem großen Herzen für den Frauenfußball, hat das schneller realisiert. Er ist nach dem Aus auf den Platz gegangen mit dem festen Vorsatz, alle 21 Spielerinnen zu trösten. Er hat tatsächlich alle einundzwanzig kurz im Arm gehalten, und nun steht er da und spricht sehr ausführlich und sehr präsidial von einem fantastischen Team, einer tollen WM und dem Aufschwung für den Frauenfußball, der sich trotz des frühen Ausscheidens einstellen werde. Dann sagt er einen Satz über Bundestrainerin Silvia Neid, deren Vertrag er kurz vor der WM bis 2016 verlängert hat: „Sie ist das Beste, was uns passieren kann.“ Es ist nicht so, als würde in irgendeiner Ecke ein Feuer lodern. Aber vielleicht ist Zwanziger Rauch in die Nase gestiegen.
Birgit Prinz ist eine von denen, die ein paar Funken sprühen. Die Duisburgerinnen Inka Grings und Linda Bresonik haben zwischen den Zeilen vorsichtig über ihre Auswechslungen geklagt, aber für sie wird es ja weitergehen mit der EM-Qualifikation. Prinz dagegen wird nie mehr in der Nationalelf spielen und moniert offen, dass sie nicht eingewechselt worden ist. Sie ist enttäuscht, sie ist sauer, sie sagt nicht mehr „Silv“, wenn sie Silvia Neid meint. Sie sagt: „die Trainerin“.
Für Prinz ist es nach einer großartigen Karriere ein Abschied voller Bitterkeit. Natürlich ist wieder jemand auf die Idee gekommen, dass sich das Team mit einem Transparent bei den Zuschauern bedanken sollte. „Ein Team. Ein Traum. Millionen Fans. Danke“, steht drauf. Als die Spielerinnen damit durchs Wolfsburger Stadion ziehen, fasst Prinz es als letzte und mit spitzen Fingern an. Knapp 2000 Fans sind noch da und applaudieren. Die anderen 24 000 sind auf dem Heimweg.
Auch sie sind aus ihrem Traum gefallen.