Wolfsburg. . Zu viel Druck, zu viele Fehler, Aus im Viertelfinale: Wir erklären, warum das „Unternehmen Titelverteidigung“ für das Gastgeberteam der Frauenfußball-Weltmeisterschaft so früh gescheitert ist.
Silvia Neid hat tatsächlich einen Augenblick lang überlegt. Das 0:1 gegen Japan und das Viertelfinal-Aus bei der Frauenfußball-WM im eigenen Land ist noch frisch, vielleicht kommt die Frage, ob sie sich einen gravierenden Fehler ankreiden muss, etwas früh. Die Bundestrainerin hat also einen Moment lang überlegt und dann doch so geantwortet, wie es zu erwarten war: „Nein.“
Doch unter dem Strich steht das Scheitern im Viertelfinale. Der zweifache Weltmeister Deutschland ist raus, er ist mehr durchs Turnier gerumpelt als gestürmt. Silvia Neid hat kurz vor der WM ihren Vertrag bis 2016 verlängert, sie genießt die volle Rückendeckung von DFB-Präsident Theo Zwanziger. Aber die Fragen danach, ob alles richtig gelaufen ist, bleiben.
Die Vorbereitung
Seit dem 11. April war das Team zusammen, das ist für eine Vorbereitung auf eine WM eine lange Zeit. Die Bundesliga musste im Schweinsgalopp durch die Saison hetzen. Zu viel des Guten? Die Mannschaft wirkte im Turnier jedenfalls überspielt und nicht so frisch, wie man erwartet hatte. Und: Keine einzige Spielerin hat in den vier Partien konstant gute Leistungen gebracht.
Die Erwartungshaltung
Deutschland ist als zweifacher Weltmeister ins Turnier gestartet. Etwas anderes als der dritte Titel in Serie stand in der Öffentlichkeit nie zur Debatte. Silvia Neid und die Spielerinnen haben offiziell immer wieder gewarnt, intern galt das Finale aber ebenfalls als Minimalziel.
Der Druck
Monatelang ist die WM bis zur völligen Überfrachtung von allen Seiten angeheizt worden als Meilenstein für den Frauenfußball in Deutschland. Das Ende vom Lied: Obwohl der DFB-Tross einen Psychologen dabei hatte und man wusste, dass man in großen und ausverkauften Bundesliga-Arenen spielen würde, hat niemand es geschafft, die Spielerinnen darauf vorzubereiten. In drei von vier Partien wirkte die Mannschaft phasenweise wie gelähmt.
Der Fall Prinz
Die dreimalige Weltfußballerin sollte ihre einmalige Karriere mit der WM nicht nur beenden, sondern auch krönen. Nach einem mäßigen Auftritt gegen Kanada holte Silvia Neid Prinz beim schwachen Spiel gegen Nigeria kurz nach der Pause vom Feld – für die selbstkritische Prinz ein Schlag ins Gesicht, außerdem das Startsignal für einen Teil der Medien, Prinz zu attackieren. Davon hat sich die 33-Jährige nicht mehr erholt. Was dabei unterging: Für Silvia Neid war es das Eingeständnis, auf die verkehrte Schlüsselspielerin gesetzt zu haben.
Die Stammelf
Auch hier beginnt alles mit der Frage: Konnte man in wochenlanger Vorbereitung nicht erkennen, dass Birgit Prinz ihren Zenit überschritten hat? Silvia Neid ging unverdrossen mit Prinz als zentraler offensiver Figur ins Turnier, musste sich dann korrigieren und fand keine Lösung mehr, die länger als ein Spiel funktionierte.
Der Strategie-Wechsel
Alle Testspiele vor der WM gewann das Team mit Pauken und Trompeten. Die Quintessenz: Die Routiniers um Prinz und Inka Grings spielten den Gegner mürbe, die jungen um Celia Okoyino da Mbabi und Alexandra Popp schossen ihn dann ab. Schon im Eröffnungsspiel gegen Kanada galt das nicht mehr: Grings saß draußen.
Der fehlende Kopf
Deutschland agierte, wie viele andere Teams, im 4-2-3-1-System. Das Problem angesichts der Struktur dieses Kaders; Im Mittelfeld gab es keine Spielerin, die lenken konnte. Wenn über die Flügel, wie gegen Japan, nichts lief, fehlte jemand, der Ideen entwickeln und den Rhythmus vorgeben konnte. Die Folge: viel zu häufig planloses Anrennen wie gegen Japan.
Die Konkurrenz
Man muss Silvia Neid zugute halten, dass sie es oft genug betont hat: Die anderen haben aufgeholt, taktisch und athletisch. Die Abstände im Frauenfußball sind kleiner geworden. 2007 gewann Deutschland das WM-Eröffnungsspiel gegen Argentinien 11:0. Heutzutage undenkbar. So gesehen ist ein Viertelfinal-Aus gegen Japan eben durchaus drin.