Berlin. Nach dem begeisternden 2:1-Auftaktsieg des deutschen Teams gegen Kanada soll die WM den Frauenfußball weiter anschieben. Das geht aber nur, wenn die deutsche Mannschaft weiter erfolgreich ist.

. Berliner lieben Baustellen. Mit denen kennen sie sich aus, man hat nach der Wende über Jahre hinweg eine neue Mitte aus Niemandsland hoch gezogen. Am Sonntag pilgerten über 50 000 zum Großflughafen Schönefeld, um sich den Bau eines neuen Terminals anzuschauen. Noch mehr, 73 680, saßen im Olympiastadion und jubelten wegen einer ganz anderen Art von Baustelle. „Das war wie eine Reizüberflutung, gigantisch, bombastisch, einfach zum Wohlfühlen“, sagte Linda Bresonik am Montag, die als Außenverteidigerin Teil dieser speziellen Aufbauarbeit ist: Wird die Weltmeisterschaft, in die Deutschland mit dem Berliner 2:1 über Kanada wunschgemäß gestartet ist, zum großen Aufbauprojekt des Frauenfußballs? Es gibt viele Skeptiker. Und dann gibt es 73 680, die dabei waren und 18 Millionen, die vor den TV-Geräten saßen.

TV-Quote 58 Prozent

Das ist ein Wert, über den man nicht so leicht hinweg gehen kann. Mit 14 Millionen Zuschauern im Schnitt und 18 Millionen in der Spitze hat die ARD bei der Übertragung des Spiels Quoten von bis zu 58 Prozent erreicht. Und plötzlich wird die Frage ernsthaft diskutiert, ob dieses Turnier den Frauenfußball nicht doch über den Tag hinaus anschieben kann. Kann es?

Das Nationalteam der Frauen, bei seiner Gründung vor knapp 30 Jahren ein bestenfalls geduldetes Stiefkind und organisatorisch so knapp aufgestellt wie jeder B-Kreisligist der Männer, ist den Kinderschuhen längst entwachsen. In Berlin haben die Spielerinnen in einem Luxushotel gewohnt, das Management stellte ihnen auf der VIP-Etage eine eigene Lounge zur Verfügung, Tischtennisplatte und Playstation der modernsten Generation inklusive, und wen es interessiert: Kim Kulig, eine der Jüngeren, ist für die Auswahl der Spiele zuständig. Am häufigsten wird Fußball gezockt.

Dieses Team hat längst auch eine eigene Managerin. Doris Fitschen war einst eine Weltklassespielerin, nun kümmert sich die Blondine ums Drumherum, und ganz bewusst hat sie am Montag in Berlin gesagt: „Das 2:1 war für uns als Mannschaft sehr, sehr wichtig, aber ich glaube, auch für das Turnier.“

Damit hat Fitschen den Nagel auf den Kopf getroffen. Diese WM ist mit Erwartungen bis obenhin befrachtet. Sie ist nicht nur sportlicher Wettbewerb, es geht nicht nur darum, den dritten WM-Titel in Folge zu holen, was übrigens noch kein Team, Männer oder Frauen, geschafft hat. Die Weltmeisterschaft soll über den Tag wirken, die Frauen-Bundesliga anschieben, in der im Schnitt vor 830 Fans gespielt wird, gerne am Sonntag um elf Uhr, um auch dem letzten Männer-Landesligisten auszuweichen.

Dieses Turnier gilt plötzlich als Höhepunkt einer Emanzipationswelle, die Spielerinnen als Speerspitzen der Bewegung, der DFB vermarktet sie als jung und sexy. „20Elf von seiner schönsten Seite“ – es gibt auch im Nationalteam nicht wenige Spielerinnen, denen das offizielle Motto gegen den Strich geht. Tatsächlich kann das alles drei Wochen lang funktionieren, kann die Begeisterung das Turnier tragen, weil das Event WM ankommt. Was nicht ausgesprochen wird, was aber allen Beteiligten klar ist: Die Grundvoraussetzung muss stimmen. Die deutsche Mannschaft muss erfolgreich sein.

Da ist man auf einem guten Weg. Trainerin Silvia Neid wirkte nach dem Sieg über Kanada regelrecht gelöst. Die drei Zähler sind das wichtigste, die Grundlage für das Erreichen des Viertelfinals ist gelegt. Der angenehme Nebeneffekt: Nach dem knappen Sieg, um den am Ende sogar noch gezittert werden musste, weil Deutschland beste Chancen zum dritten und vierten Tor liegen ließ, schwächt sich die Rolle als Top-Favorit der WM ein bisschen ab. „Ich fand es gut“, nickte Linda Bresonik gestern, „dass die Leute jetzt gesehen haben, dass es kein Spaziergang für uns wird, mal eben den Titel zu verteidigen.“ Aber so ist das eben mit Baustellen: Ihre Faszination liegt in dem Gefühl, etwas wachsen zu sehen. Vielleicht ja etwas Größeres als vorher geplant.