Wien. . Derzeit kann Bundestrainer Joachim Löw den Ausleseprozess im Angriff noch entspannt moderieren. Die etatmäßige Sturmspitze Miroslav Klose fehlt ohnehin verletzt. Doch wie wird er in Zukunft mit der einen Planstelle im Angriff verfahren?

Wie kann man einem kalten Stück Aluminium nur so viel Zärtlichkeit, so viel Innigkeit entgegen bringen? Lächelnd umfasste Mario Gomez den Pfosten des Tores im Wiener Ernst-Happel-Stadion, und voller Wärme küsste er das kühle Gestänge. Man konnte die Abwege verstehen. Schließlich hatte der Nationalstürmer an diesem Moment etwas besiegt, was in der Psychoanalyse gern „Trauma“ genannt wird.

Mario Gomez hatte etwas viel Größeres geschafft, als einen Kullerball auf, nun ja, wenig ansehnliche Art zum 1:0 über die Linie zu stochern. Er hatte in diesem Moment einen neuen Mario Gomez erschaffen. Einen, der auch in der Nationalelf anerkannt wird als der, der er ist: ein überragender Stürmer mit einer sagenhaften Torquote. In der Bundesliga stehen 101 Tore in nur 182 Spielen auf seinem Konto, nun hat er auch seine Bilanz im DFB-Trikot merklich aufgehübscht. Obwohl oftmals als Einwechselspieler nur Zeitarbeiter, schlagen nach den zwei siegbringenden Toren von Wien inzwischen 18 Treffer in 45 Spielen zu Buche, in den letzten sieben Partien im Adler-Trikot hat er gar sechs Mal getroffen.

Auf Tollpatsch-Niveau am 16. Juni 2008

Was Mario Gomez aber wirklich brauchte, was dieses eine Tor in Wien. Eben an jenem Ort, an dem die Nationalmannschafts-Karriere des heute 25-Jährigen eine dauerhaft böse Wendung zu nehmen schien. Es war der 16. Juni 2008, das entscheidende EM-Gruppenspiel gegen Österreich, als Gomez in einem irrwitzigen Moment den Ball aus gefühlt einem Meter mittels einer grotesken Bogenlampe nicht im Tor unterbrachte. Der 30-Millionen-Einkauf des FC Bayern, der teuerste Liga-Transfer der Historie, schnurrte in diesem Moment auf Tollpatsch-Niveau zusammen, dessen kapitaler Bock in der Rangliste der absurden Fehlversuche bis in alle Ewigkeit einen vorderen Rang einnehmen dürfte.

Dieser dunkle Moment aber ist nun ausgeblichen, nurmehr eine kleine Episode in einer viel größeren Geschichte. Er habe „nicht die ganze Zeit daran gedacht, was hier damals passiert ist“, sagte Gomez nach der Partie. „Wenn ich überall da, wo ich eine große Chance vergeben habe, nicht mehr spielen könnte, dürfte ich ja bald nirgendwo mehr auflaufen.“ Es war natürlich ein wenig geflunkert und Gomez gestand zumindest ein, „unmittelbar nach dem Tor an damals gedacht zu haben“.

Gomez verwertete Lahms Flanke gekonnt

Dann lächelt er kurz. Befreit, nicht mehr künstlich oder gar verkrampft, wie er die Jahre zuvor oft aufgetreten war, wenn er das Nationaltrikot überstreifte. Da wirkte Mario Gomez in einer seltenen Melange zugleich übermotiviert wie gehemmt. Ihm ging das Leichte, das Spielerische ab. Die Geduld, auf den einen entscheidenden Moment zu warten, in denen ein Torjäger wie er die Partie entscheidet. So wie in Wien, als er in quasi letzer Sekunde die Flanke von Philipp Lahm gekonnt zum Siegtreffer verwertete.

„Mario war zuletzt schon in seinen Aktionen ungemein klar und unglaublich sicher, zudem strotzt er vor Selbstbewusstsein“, hatte Joachim Löw völlig korrekt beobachtet. Für den Bundestrainer stellt sich aber zunehmend die Frage, was er daraus schlussfolgert. Derzeit kann er den Ausleseprozess im Angriff noch entspannt moderieren. Die etatmäßige Sturmspitze Miroslav Klose fehlt ohnehin verletzt. Doch wie wird er in Zukunft mit der einen Planstelle im Angriff verfahren? Löw steht loyal zu den Spielern, denen er über Jahre vertraut – und die den Vorschuss dann stets auf Heller und Pfennig zurückzahlen. So wie insbesondere Miroslav Klose, über den öffentlich schon des öfteren diskutiert wurde. Bei den Bayern wurde er zum Bankdrücker, Löw aber vertraute dem Deutsch-Polen – und Klose (den es offenbar auch in zwei Versionen als treffenden DFB-Klose und zaudernden Bayern-Miro gibt) rechtfertigte das Vertrauen stets mit wichtigen Toren.

Die wichtigen Tore aber, die erzielt inzwischen auch Mario Gomez.