Essen. . DFB-Sportdirektor Matthias Sammer spricht über die neue deutsche Jugendförderung und ihr Ziel: die Führungsstellung im Welt-Fußball. Sammer lobt vor dem Derby sowohl Schalke als auch Dortmund.

Christian Wörns hat 1998 gegen Kroatien schon in der 40. Minute die Rote Karte gesehen. Die Nationalelf hat in Unterzahl 0:3 verloren und ist bei der WM ausgeschieden. Hat das den deutschen Fußball verändert?

Matthias Sammer: 2002 bei der WM gab es mit dem Vize-Titel noch einmal einen kleinen Aufschwung. Insgesamt war aber schon vor 1998 zu erkennen, dass zu wenige junge Spieler nachrücken. Aber Ihre Frage ist nicht unberechtigt. Vielleicht ist man immer erst dann bereit, über Veränderungen nachzudenken, wenn auch der letzte sieht, dass es nicht weiter geht.

Matthias Sammer mit dem Champions-League-Pokal 1997.
Matthias Sammer mit dem Champions-League-Pokal 1997. © imago sportfotodienst

Welche Maßnahmen wurden dann vom Deutschen Fußball-Bund ergriffen?

Sammer: Es fehlte an Quantität und an Qualität im Nachwuchs. So kam man auf die Idee, das Talentförderprogramm einzurichten, mehr zu sichten, spezielle Einheiten an Stützpunkten zusätzlich zum Vereinstraining zu schaffen, individuelles Training zu fördern. Verpflichtend wurden die Leistungszentren, erst für die erste, später auch die zweite Liga. Es ging darum, die Professionalisierung des Nachwuchsbereiches voranzutreiben.

Früher waren die Talente die Straßenfußballer. War der Mangel an diesen Talenten auch die Folge einer gesellschaftlichen Entwicklung?

Sammer: Wenn es eine gesellschaftliche Entwicklung ist, dass es keine Straßenfußballer mehr gibt, muss man reagieren. Und den Straßenfußball kann man natürlich in ein Talentförderungsprogramm integrieren. indem man die Kinder zum Fußballspielen ermuntert.

Die pädagogische Ausbildung von Trainern wird vom DFB ebenfalls stärker gefördert als früher. Wurde auch damit auf gesellschaftliche Entwicklungen reagiert?

Sammer: Wissen Sie, ich bin ohnehin der Meinung, dass man immer auch über die Menschen sprechen muss, wenn man über Systeme spricht. Wir brauchen gut ausgebildete Trainer, die Systeme mit sportlichem Wissen, aber auch mit ihrem pädagogischen Können ausfüllen.

Am Freitag steht das Derby Dortmund gegen Schalke an. Wie beurteilen Sie die Jugend-Politik der Vereine?

Sammer: Ich glaube, dass beide Klubs für junge deutsche Spieler stehen. Im Fall von Schalke vergisst man das gerade vielleicht ein bisschen. Aber Manuel Neuer, Benedikt Höwedes oder Julian Draxler, die sind aus der eigenen Jugend. Beide Vereine sind also für den DFB beispielhaft.

Ist es für Sie als für die Jugend zuständigem Sportdirektor des DFB denn eine Genugtuung, dass bei diesem Derby so viel Jugend mitmachen wird?

Sammer: Ich freue mich einfach daran, dass wir es geschafft haben, der Individualität wieder Raum zu geben. Schauen Sie doch auf den BVB, auf Mario Götze, der ein unglaublich kreativer Freigeist ist. Und wenn Sie Sven Bender daneben sehen, der für ein anderes Spiel steht, aber ebenso wichtig ist, dann sehen Sie die Unterschiedlichkeit, die ein Team braucht. Von Genugtuung kann man aber erst sprechen, wenn wir weiter für guten Nachwuchs sorgen und die führende Stellung, die wir mal hatten, in Europa und in der Welt wieder einnehmen können. Mit der Nationalelf und dem Klubfußball.