Göteborg. Die Stimmung der deutschen Fußball-Junioren schwankte zwischen Stolz und Wut. Zwar hatte die U21 den vermeintlichen Topfavoriten Spanien zum EM-Auftakt eine Halbzeit lang beherrscht und Bundestrainer Joachim Löw als Tribünengast sowie fünf Millionen TV-Zuschauer beim 0:0 überzeugt.

Das vor Turnierstart befürchtete Kardinalproblem war aber schmerzhaft zu Tage getreten: Deutschland spielt praktisch ohne Sturm, was beim Kampf um den ersten Halbfinal-Einzug nach 27 Jahren und den angestrebten ersten EM-Titel ein gravierendes Manko ist. „Ich bin ein bisschen angefressen“, meinte Trainer Horst Hrubesch und sagte weiter: „Die Mannschaft hat teilweise klasse gespielt, aber man trauert natürlich den zwei verlorenen Punkten nach. Deshalb ist die Stimmung gedrückt.“ Die Spanier seien am Ende stehend k.o gewesen, so Hrubesch, „wir hätten nur noch den Sack zumachen müssen“.

Löw zog dagegen ein uneingeschränkt positives Resumee. „In meinen Augen sind das keine verlorenen Punkte. Man darf nicht vergessen, dass wir gegen den Topfavoriten ein Unentschieden geholt haben“, sagte der Bundestrainer und fügte an: „Die Mannschaft war gut vorbereitet, taktisch gut eingestellt und hat homogen agiert. Sie hat sich gut aus der Affäre gezogen, es war auch ohne Tore ein gutes Spiel.“ Zwingend besser werden muss aber die Chancenverwertung. Zwar wirbelte der etatmäßige Mittelfeldspieler Mesut Özil im Angriff dermaßen, dass die Talentspäher der 62 europäischen Vereine verzückt Notizen machten.

Doch der Bremer vergab freistehend zwei hundertprozentige Möglichkeiten kläglich. „Ich muss unbedingt ein Tor machen. Das ist mir leider nicht gelungen“, meinte der Siegtorschütze des DFB-Pokalfinales mit gesenktem Kopf. Kritik am 20-Jährigen wollte Hrubesch aber nicht zulassen. „Mesut ist einer der perfektesten Spieler, den ich je hatte“, sagte er: „Ich bin sicher, er wird ein Top-Turnier spielen und bald dauerhaft im A-Team ankommen.“ Dies sieht auch Löw so. „Mesut hat eine großartige Leitung gezeigt“, meinte er: „Er ist ein technisch überragender Spieler, der besondere Dinge macht.“

Nicht belohnt

„Über die Stürmer wurde viel diskutiert, aber wir müssen das so annehmen wie es ist“, meinte Kapitän Sami Khedira, der laut Hrubesch während des Spiels „offenbar an der Bürde zu tragen hatte“, nach dem Schlusspfiff aber wieder mutig vorantrat: „Wir haben die Spanier im Griff gehabt. Leider wurden wir nicht belohnt. Aber wir haben gesehen, dass wir jeden schlagen können. Das muss uns Mut geben.“

Am Donnerstag spielt die DFB-Auswahl in Halmstad (18.15 Uhr/live im ZDF) gegen Finnland, das zum Auftakt trotz starker Leistung 1:2 gegen England verlor. „Wenn wir die Finnen schlagen und die Engländer Spanien, sind wir schon fast durch“, meinte Gonzalo Castro forsch. Mut machte vor allem die Defensive. Linksverteidiger Sebastian Boenisch wird wegen einer Bänderverletzung in diesem Turnier vielleicht nicht mehr spielen können. Sein Dortmunder Vertreter Marcel Schmelzer wirkte aber auch viel sicherer als der Bremer. Die rechte Seite machte der Hoffenheimer Andreas Beck gut zu, Torhüter Manuel Neuer (Schalke 04) war nicht nur ein sicherer Rückhalt, sondern leitete mit unglaublichen Abschlägen mehr Angriffe ein als die Mittelfeldspieler.

Und in der Innenverteidigung verurteilten der Schalker Benedikt Höwedes und Jerome Boateng „Wunderkind“ Bojan Krkic vom Champions-League-Sieger FC Barcelona zur Wirkungslosigkeit. Vor allem Boateng zeigte eine sensationelle Leistung. Er verteidigte bärenstark, hatte die beste Passquote der deutschen Mannschaft und kam zudem als einziger DFB-Akteur ohne Foul aus. „Über Jerome diskutiere ich nicht“, meinte Hrubesch denn auch: „Er hat alles, was man braucht und ich verstehe nicht, dass er beim HSV auf den Positionen hin- und hergeschoben wurde.“ (sid)

Deutschland sucht den Superstürmer

DFB-Sportdirektor Matthias Sammer hat Siegermentalität im Jugendfußball gefordert - es folgten EM-Titel der U19 und der U17. Er hat Führungsspieler gefordert - sie bilden sich mehr und mehr heraus. Er forderte Individualisten - die U21 bietet sie in Marko Marin oder Mesut Özil. Doch eine Suche beginnt erst: Deutschland sucht den Superstürmer. Auf die Nation der Weltklasse-Torjägern wie Uwe Seeler, Gerd Müller, Rudi Völler oder Jürgen Klinsmann könnte langfristig ein Sturmproblem zukommen. Hinter dem schon 31 Jahre alten Miroslav Klose gibt es in Mario Gomez, Patrick Helmes und Lukas Podolski drei Angreifer von internationalem Format. Danach kommt lange nichts.

Unglaublich, aber wahr: Außer jenem Quartett und dem aus der Nationalelf verbannten Kevin Kuranyi (13) haben in der Bundesliga in Stefan Kießling (12), Sebastian Freis (9) und dem eingebürgerten Brasilianer Cacau (7) nur drei deutsche Stürmer mehr als fünf Saisontore erzielt. U21-Coach Horst Hrubesch sichtete erfolglos bis in die vierte Liga, bot zum EM-Auftakt gegen Spanien zwei Mittelfeldspieler im Sturm auf und sah trotz bester Chancen ein 0:0. Man mag dem DFB vorwerfen, dass der Fokus zuletzt so sehr auf den Problemzonen in der Außenverteidigung und auf den offensiven Flügeln lag, dass 'Brecher' und 'Knipser' nicht mehr gefördert wurden.

Das größere Problem aber sind die Vereine. Sturmstars sind für die Liga ein Segen. Traurig ist, dass auch mittelmäßige Klubs unter Erfolgsdruck und mit Gier nach ein bisschen Flair lieber mittelmäßige Stürmer aus dem Ausland verpflichten als Eigengewächsen die Chance zur Entwicklung zu geben. Stürmer brauchen wie keine andere Spezies von Fußballern Selbstvertrauen, Rückendeckung und Spielpraxis.

Das hat die 829 Minuten währende Torflaute von Gomez in der Nationalelf gezeigt. Der einzige Trost ist, dass der Knoten auch mal später platzen kann. Klose spielte noch mit 21 in der dritten Liga, Luca Toni gar mit 22. Auf eine solche Leistungsexplosion zu hoffen, wäre aber fahrlässig. (sid)