Köln/Genua. .
Die Gewaltexzesse serbischer Hooligans, die zum Abbruch des EM-Qualifikationsspiels zwischen Italien und Serbien führten, sollen von langer Hand organisiert gewesen sein.
Einen Tag nach den Krawallen beim EM-Qualifikationsspiel zwischen dem früheren Fußball-Weltmeister Italien und Serbien in Genua sind die ersten Hooligans in Schnellverfahren verurteilt worden. Ein serbischer Krawallmacher wurde wegen Widerstandes gegen die Polizein bei einem Zwischenfall vor dem Spiel zu einer einjährigen Haftstrafe verurteilt. „Meine Freunde haben mich gezwungen, die Polizei anzugreifen“, rechtfertigte sich der Angeklagte. Auch ein 18 Jahre alter Fan des einheimischen FC Genua muss wegen Widerstands gegen die Polizei mit drei Monaten Gefängnis belegt.
„Die Drahtzieher sitzen in Belgrad. Das ist ein Angriff auf unseren Staat“, erklärte der aufgebrachte serbische Verbandspräsident Tomislav Karadzic. Auch Serbiens Sportministerin Snezana Samardzic-Markovic geißelte nach dem zweiten Spielabbruch in der über 50-jährigen EM-Historie wegen Gewaltexzessen die beispiellosen Ausschreitungen: „Diese Vandalen haben große Schande über Serbien gebracht und dem mühselig wieder aufgebauten Ansehen unseres Landes einen schweren Schlag versetzt.“
Rund um das Stadion herrschte Gefahr
Offenbar herrschte rund um das Stadion große Gefahr. „Es hätte zu einer Tragödie wie in Heysel kommen können“, sagte ein Polizeisprecher mit Blick auf die 39 Toten beim Europapokalfinale 1985 zwischen Juventus Turin und dem FC Liverpool in Brüssel.
Am Mittwoch bilanzierten die Behörden in der italienischen Hafenstadt 16 Verletzte und 17 Verhaftungen, dazu wurden 35 Anzeigen gegen serbische Rowdies aufgesetzt und eine Person im Schnellverfahren abgeurteilt. Italiens Außenminister Franco Frattini forderte eine harte Bestrafung aller Gewalttäter, die Europäische Fußball-Union (UEFA) leitete eine Eiluntersuchung der „ernsten“ Vorgänge ein.
Die bizarre Spirale der Gewalt war am Dienstagnachmittag in Gang gekommen. Hunderte von serbischen Randalierern attackierten nach teilweise verdeckter Einreise ihre eigene Spieler und besonders Torhüter Vladimir Stojkovic schon vor dem Teamhotel, bewarfen den Keeper sogar noch im Mannschaftsbus mit Feuerwerkskörpern.
Serben schämen sich zutiefst
Auch im Stadion schlugen dem Kader blanker Hass und spürbare Gewaltbereitschaft entgegen. Völlig entnervt suchte Stojkovic sogar in der Kabine der Gastgeber Zuflucht und offenbarte Italiens verblüfftem Nationaltrainer Cesare Prandelli weinend seinen Verzicht auf einen Einsatz. Aufgrund anhaltender Krawalle der Serben auf den Rängen mussten beide Teams vor Anpfiff nochmals in die Katakomben, ehe der Anstoß mit 35 Minuten Verspätung erfolgen konnte. Als Italiens Keeper Emiliano Viviano allerdings in der siebten Minuten von einem Knallkörper getroffen wurde, entschloss sich Schiedsrichter Craig Thomson (Schottland) nach längeren Beratungen auch mit dem UEFA-Beobachter zum Abbruch.
Unter Kontrolle bekam die Polizei die Lage erst in den Nachtstunden. In kleinen Gruppen transportierten Busse die Hooligans unter Polizeibegleitung aus Stadt und Land. Zuvor hatten „die Bestien“ (Gazzetta dello Sport) die Carabinieri mit Knallkörpern, Steinen und Gasflaschen beworfen sowie mit Tränengas beschossen.
„Wir schämen uns zutiefst“, schrieb Serbiens Botschaft in Rom an Diplomaten und Medien auf dem Apennin, und Serbiens Regierung sandte eine Entschuldigung an Italiens Regierungschef Silvio Berlusconi. Auch die Zeitungen in Belgrad werteten die Geschehnisse als nationale Schande. „Das ist Serbiens Tod“, titelte „Kurir“ nach der „Nacht der Schande“. „Press“ reagierte mit Blick auf die zu erwartenden Strafen entsetzt: „In Genua ist der serbische Fußball gestorben.“
Trainer und Spieler reagierten schockiert
Trainer und Spieler reagierten schockiert. „Ich bin erschüttert. So etwas habe ich noch nie gesehen. Die serbischen Spieler hatten alle Angst und erzählten, dass alles vor dem Spiel geplant worden ist. Stojkovic traut sich nicht einmal nach Belgrad zurück“, sagte Prandelli. Sein Kapitän Gianluca Zambrotta berichtete, dass Serbiens Spielführer Dejan Stankovic von Inter Mailand „behauptet, dass die Krawalle organisert worden sind. Er ist in Tränen ausgebrochen und hat sich entschuldigt“.
Bei der Ursachenforschung für das Gewaltszenario herrscht noch Unklarheit. Besorgnis erregt besonders die Theorie sowohl serbischer als auch italienischer Innenpolitiker, dass Gegner eines EU-Beitritts Serbiens die Fußball-Bühne vorsätzlich zur Beschädigung von Belgrads Image missbraucht haben sollen.
Auch die Polizei geriet unter Druck
Auch die italienische Polizei geriet unter Druck. Die Carabinieri wirkten lange ohnmächtig. „Eine Gruppe von Gewalttätigen genügt - und die Zivilgesellschaft muss kapitulieren. Alle machtlos vor Gewalttätigen, die vom Fußball angezogen sind wie einst die Barbaren von Rom“, schrieb Tuttosport.
Doch Medienberichten zufolge haben die Behörden Hinweise aus Belgrad auf die Reise von rund 400 rechtsextremistischen und gewaltbereiten Randalierern nach Genua auch unterschätzt. Gezielt sollen Serbiens Sicherheitskräfte vor der mutmaßlichen Absicht der Hooligans zur Verhinderung der Spielaustragung gewarnt haben. Der italienische Verband FIGC wies die Berichte indes zurück. „Man hat uns über die Zahl der anreisenden Fans, nicht über ihre Gefährlichkeit informiert. Diese Leute hätten niemals einreisen dürfen“, sagte sich der FIGC-Sicherheitsbeauftragte Roberto Massucci. (sid)