Hamburg. Als Helmut Kremers bei der richtigen Veranstaltung eine überragende Leistung gebracht hat, ist er gleich zum Präsidenten des FC Schalke 04 erkoren worden. Auch Nationaltorwart René Adler wurde vom Schicksal begünstigt.
Nicht viel mehr als ein Satz, der Borussia Dortmund, den wenig geliebten Nachbarn, in ein ungünstiges Licht rückte, war notwendig, um den Alt-Internationalen für kurze Zeit an die Schalthebel der Macht zu katapultieren: „Gegen die mussten wir uns früher nicht einmal umziehen.”
René Adler wurde vom Schicksal zwar etwas seriöser begünstigt. Aber klar ist: Hätte er nicht bei der richtigen Veranstaltung seine Fähigkeiten demonstrieren dürfen, würde in diesen Tagen möglicherweise einem anderen Torhüter die Rolle der Nummer eins der Nationalelf in mächtigen Blockbuchstaben angedient, die einzige Rolle, der Auftritte auf der ganz großen Bühne garantiert sind.
Die richtige Veranstaltung fand nicht im fernen Moskau, sondern in Leverkusen statt. Am fünften September wurde dort, wo der Heimatverein Adlers residiert, das Länderspiel gegen Südafrika ausgetragen, und weil Joachim Löw seiner vierköpfigen Hüterriege Chancen zur Präsentation gewähren wollte, dachte er sich: Könnte es für einen jungen Mann einen schöneren Strafraum geben als den eigenen? Zum Zeitpunkt der Entscheidung konnte der Bundestrainer allerdings noch nicht ahnen, dass Robert Enke im folgenden wichtigen Qualifikationsspiel für die Weltmeisterschaft gegen Aserbaidschan nicht würde antreten können. Eine Infektion, so stellte sich später heraus, schwächte den Torsteher, der sich bis dahin im Ausscheidungs-Rennen um die Pole Position im Endlauf vorn wähnen durfte.
Seitdem ist einiges geschehen. Adler hat gut gehalten, er hat hervorragend gehalten, und vor allem: In Russland, im Luschniki-Stadion, da soll er der deutschen Nationalmannschaft mit seinen Paraden das Ticket für die Reise zur Weltmeisterschaft in Südafrika gelöst haben. Prompt jubelte die euphorisierte Bild am Sonntag: „In dieser Form ist er gesetzt.” Doch, ob das der Bundestrainer auch so empfindet, das ist die Frage. Löw, sein Assistent Hansi Flick, Torwarttrainer Andreas Köpke und wohl auch Teammanager Oliver Bierhoff wollen sich Ende November zusammensetzen, Vorstellungen austauschen und möglicherweise einen Fahrplan konzipieren, der als letzte Station den Tag der endgültigen Entscheidung nennen könnte. Eile scheint aber nicht geboten. Adler konnte sich zwar auszeichnen, doch er konnte sich auszeichnen, weil das Schicksal bei seiner Klubauswahl Weitsicht bewies.
Welcher Torhüter am kommenden Mittwoch beim letzten und bedeutungslosen Qualifikationsspiel in Hamburg gegen Finnland (18 Uhr, ARD) die Bandbreite seines Könnens demonstrieren darf, ist der Öffentlichkeit noch nicht verkündet worden. Wahrscheinlich Adler.
Qual der Wahl
Enke, der Altvordere, steht noch nicht wieder zur Verfügung. Tim Wiese soll am 14. November gegen Chile seine Chance erhalten, Manuel Neuer auf Schalke am 18. November gegen Ägypten. Köpke, die Fachkraft für die Trefferverhinderung, hat immer wieder verkündet, dass er die Qual der Wahl zu schätzen weiß, die aus dem beneidenswert reichhaltigen Angebot an Klassetorhütern wächst. Bierhoff hat trotz der phantastischen Begebenheiten von Moskau angemerkt: „Wir sind froh, dass wir vier Top-Torhüter haben und sehen nicht den Bedarf, etwas früh festzulegen.”
Es wird also weiter kritisch beobachtet, ohne den Publikumsjoker zu ziehen. Klassische Torhütertugenden muss der Kandidat für die Nummer eins selbstverständlich in Fülle vorweisen. Er muss das Spiel eröffnen, er muss mitspielen können. Er muss mental stark sein. Er muss der Mannschaft Sicherheit vermitteln. Adler hat in allen Kategorien in Russland überzeugt. Aber ob das Schicksal ihn weiterhin begünstigen wird? Der Kollege Konkurrent Enke könnte ihm davon berichten, wie launisch es von der Streicheleinheit zum miesen Tiefschlag wechselt.