Bordeaux. Die erste Spielhälfte des FC Bayern München, da waren sich nach dem müden 1:2 bei Girondins Bordeaux alle einig, war noch schlechter als die zweite. Am schlechtesten allerdings war die Vorstellung dazwischen: Ein Scharmützel unter Münchnern. Und damit ein Fingerzeig, was kommen kann.
Die Kabinenpredigt Louis van Gaals blieb unter Verschluss, offenkundig aber wurde das, was auf den Rängen vor sich ging: Da gingen Bayernfans gegenseitig aufeinander los. Mit Fäusten und Worten, Schickeria gegen den Rest, „Nazis raus” gegen „Scheiß St.Pauli" - alles selbst weit unter Zweitliganiveau.
Schuldzuweisungen zwischen den Zeilen
Bayern gegen Bayern: Das gab's nach dem Spiel auch bei Team und Trainer. Noch hält sich der „Druck", den Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge („Ich würde euch dringend empfehlen, eine andere Gangart einzulegen”) beim nächtlichen Bankett im Regent Grand Hotel „ohne Frage" diagnostizierte, unter dem Deckel. Zwischen und bisweilen auch innerhalb der Zeilen aber gab's die ersten Schuldzuweisungen.
Da war zunächst natürlich Thomas Müller. Hatte sich die Debatte rund ums Wochenende nur noch darum gedreht, wann denn der geeignete Zeitpunkt für Müllers Einrücken in die Nationalelf sei, so lieferte der sonst eigentlich gar nicht so forsche Nachwuchsstar („Ich tue mir ja normal schon schwer mit einer gelben Karte") binnen der ersten halben Stunde mit zwei Fouls aus den Kategorien „unnötig" und „dumm" scheinbar den Beweis für Uli Hoeneß` These, der Junge solle erstmal in Ruhe reifen und dann zu Höherem streben. Zwar konstatierte der designierte Hoeneß-Nachfolger Christian Nerlinger mit relativem zeitlichen Abstand – es ging schon auf drei Uhr zu –, dass einem eine solche gelb-rote Verwicklung „mit 20, aber auch mit 30 passieren" könne. Die herrschende Meinung aber war eine andere.
Ein "für den FC Bayern teurer Lernmoment"
Trainer Louis van Gaal („Unglaublich, wie wir das Eigentor, ein Geschenk des Himmels, weggegeben haben") hatte es erst etwas unterschwelliger zu bieten („Der Schiedsrichter hat gut gepfiffen – man muss eben lernen, mit seinem Stil umzugehen…"), bekundete dann auf die Frage nach einer möglichen Übermotivation Müllers ein „Kann gut sein", um dem Jungen schließlich einen „für den FC Bayern teuren Lernmoment" zu attestieren und den Hinweis nicht zu vergessen, Müller sei ja beim Eckball eine Minute vor seinem Abgang dem Ausgleichsschützen Ciani zugewiesen gewesen. Doppelfehler nach einer halben Stunde – und der Schuldige stand auch gleich fest.
Natürlich erinnerte van Gaal auch an die „vielen Ballverluste". Der Aussetzer Müllers aber tauchte auch in den Analysen anderer auf. „Erstens", begann Philipp Lahm, über dessen Seite beide Gegentreffer indirekt eingeleitet worden waren, „dürfen wir nicht so früh die gelb-rote Karte kassieren" – um dann noch in einen anderen Chor einzustimmen. Mark van Bommel („Wir kriegen ein Geschenk, dann muss man das Spiel kontrollieren") hatte Hans-Jörg Butt ins Visier genommen.
Van Bommels Kritik an Butt
Der Torwart war mit zwei gehaltenen Elfmetern (trotz eines davon selbst verschuldeten) eigentlich der einzige Gewinner des Abends gewesen, wurde aber ebenfalls prompt geerdet. Bei Michael Rensing, so die Erinnerung van Bommels, habe bei Standards immer auch ein Spieler am kurzen Pfosten gestanden – bei Butt nur einer am langen. Lahm bestätigte das und betonte mit säuerlicher Miene: „Das muss jeder Torwart selbst entscheiden."
So gab's viele Nebenkriegsschauplätze, die indes den Blick für die wahren Probleme zu vernebeln drohen. Gernot Rohr, Ex-Bayer und Bordeaux-Kenner, brachte es auf den Punkt: „München ist im Moment keine Spitzenmannschaft, das muss man ganz ehrlich sagen." Der feinfühlige Wahl-Franzose sah „keinen Funken, keinen Geist, kein Leben". Rohr treffend: „Da fehlt etwas!"