Köln.
Bei der Rückkehr in den Alltag der Nationalelf macht Bayerns Jungstar Thomas Müller da weiter, wo er bei der Weltmeisterschaft in Südafrika aufgehört hatte. Doch der Druck auf den Youngster ist größer geworden.
Dort hatte er erst wenige Tage zuvor mit dem FC Bayern München Fußball gespielt. Und dort hatte er die frühe Führung für seinen Verein auf dem Fuß, als er frei vor dem Tor auftauchte und den Ball - entgegen seiner sonstigen Gewohnheiten - einfach am Pfosten vorbei schoss und nicht wie üblich irgendwo ins Tor. Schlimmer noch war nur, dass er den neben sich vollkommen frei stehenden Miroslav Klose übersehen hatte. Und weil die Bayern das Spiel am Ende mit 0:2 verloren hatten, hatte Müller die Sache eindeutig mit verbockt. „Wir sind bei Bayern München“, maßregelte sein Trainer Louis van Gaal, „da muss man die Orientierung haben.“
Thomas Müller wäre ja nicht der erste Profi, der die Orientierung verlöre, der beglückt von den ungeahnten Höhen seines Jungfernfluges nicht mitbekäme, wie alle Warnsysteme im Rausch des Moments aussetzten. Besonders, wenn der Rausch so intensiv war: Meister mit den Bayern, Pokalsieger mit den Bayern, Champions-League-Finalist und noch dazu war Müller die wundersamste Entdeckung der Weltmeisterschaft in Südafrika, die er als bester Torschütze abschloss. Die Welt überschlug sich, so sehr begeisterte Thomas Müller. „Ich finde den überragend. Er ist Genie, was offensive Laufwege angeht“, staunt beispielsweise Jürgen Klopp, Trainer von Borussia Dortmund: „Mit 20 Jahren bei einer WM so aufzutreten - das ist Wahnsinn. Das gab’s in der Geschichte des Fußballs glaube ich seit Pele nicht mehr.“
Bock auf Fußball
Einer, auf den soviel einprasselt, der tut sich meistens recht schnell ziemlich schwer. Nämlich dann, wenn er ein bisschen Zeit hatte, mal über alles nachzudenken. Wenn er feststellt, wie die Erwartungshaltung explodiert ist. Und wenn sich das wie Blei in die Beine legt. Thomas Müller hatte in der Sommerpause Zeit über alles nachzudenken. Nach den drei Wochen bemerkte er, dass die Pause wichtig war, „weil du wieder richtig Bock auf Fußball hast.“
Müller kam wieder, betrat die Bühne Bundesliga und erzielte den ersten Treffer der Saison. Es wird einer der schönsten derselben bleiben. Am vergangenen Freitag in Belgien betrat er erstmals wieder die Bühne Nationalmannschaft und bereitete just den einzigen, so wichtigen Treffer vor. Mit einem zauberhaften Pass auf Miroslav Klose. Einem Pass, der allen, die in der Szene von Kaiserslautern fortschreitenden Egoismus und erste Anflüge einer Formkrise erkannten, das Gegenteil bewies. Müller ist offenbar immer noch Müller. Das ist die Erkenntnis seiner Rückkehr.
Der Druck ist größer geworden
Und das darf durchaus erleichtert aufgenommen werden, da Thomas Müller schon jetzt, wenige Tage vor seinem 21. Geburtstag, ziemlich unverzichtbar scheint in der Mannschaft von Bundestrainer Joachim Löw. Denn wann immer es im deutschen Spiel überraschend und anschließend gefährlich wird, hat Müller seine unscheinbaren, dünnen Beinchen im Spiel gehabt. Er bereitete die Großchance Mesut Özils vor, er scheiterte selbst zweimal an Belgiens Keeper Logan Bailly. Und ansonsten trieb er sich umher, startete diagonal in Räume, die außer ihm keiner sieht.
„Der Druck ist größer geworden“, sagte Müller in der Nacht von Brüssel, „aber das ist reizvoll. Dann macht Fußball noch mehr Spaß. Ich hab auch früher in der Schule unter Druck gut arbeiten können.“ Dann lacht er wieder sein optimistisches Lachen. Er weiß, dass es auch weniger unbeschwerte Phasen geben wird. Aber Thomas Müller lebt im Hier und Jetzt. Und das ist so gut wie das Gestern.