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Namen wie Sami Khedira, Thomas Müller oder Mesut Özil stehen für deutschen Fußball, der wieder Spaß macht. Doch woher kommen eigentlich die Talente des DFB-Teams? Eine Spurensuche.

Horst Hrubesch weinte. In jener Nacht, als der deutsche Fußball am Boden lag. In jener Nacht, in der sich die Nationalelf gegen Portugal bis auf die Knochen blamierte. In jener Nacht, in der sie mit 0:3 verlor und bei der Europameisterschaft 2000 bereits in der Vorrunde ausschied.

Hrubesch stand am 20. Juni 2000 in Rotterdam mit Teamchef Erich Ribbeck hilflos und wortlos an der Seitenlinie. Technisch und taktisch unterlegen war das deutsche Team, gespickt mit Spielern, die ihren Zenit längst überschritten oder nie erreicht hatten. Lothar Matthäus, Marko Rehmer oder Carsten Jancker standen damals in der Startelf. Ingz Hertzsch, Lars Ricken und Thomas Broich galten als die hoffnungsvollsten Talente. War dieser deutsche Fußball noch zu retten?

Dabei hatte Weltmeister-Trainer Franz Beckenbauer nach dem Triumph von 1990 die deutsche Mannschaft als „auf Jahre hinaus unschlagbar” gesehen. Eine große Fußballnation stand nur zehn Jahre später vor einem Scherbenhaufen, der Horst Hrubesch die Tränen in die Augen trieb.

Die Tränen von Rotterdam sind längst getrocknet, weil die Verantwortlichen die richtigen Lehren zogen und die Talentförderung in Deutschland umkrempelten. Bei der WM 2006 im eigenen Land und kürzlich in Südafrika machte der deutsche Fußball wieder Spaß. Dank einer jungen, spielstarken und leichtfüßigen Mannschaft, dank Spielern wie Manuel Neuer, Thomas Müller oder Sami Khedira.

Eine als golden gefeierte Spielergeneration, deren Stern heute hell erstrahlt, obwohl ihre Geburtsstunde in der dunkelsten des deutschen Fußballs in jener Nacht von Rotterdam lag. „Damals hat man sich gesagt: Das kann nicht so weitergehen”, erinnert sich Herbert Hrubesch. „Und dann hat man diese Talentförderung aus dem Boden gestampft”, sagt der jüngere Bruder von Horst Hrubesch. Er ist DFB-Stützpunkt-Koordinator in Westfalen, betreut 17 Fußballschulen zwischen Gelsenkirchen, Bochum und Dortmund.

Mesut Özil zieht das Interesse europäischer Spitzenklubs auf sich.
Mesut Özil zieht das Interesse europäischer Spitzenklubs auf sich.

Zwei-Säulen-System

Seine Aufgabe: Aus Talenten von heute die Stars von morgen zu formen. Hrubesch steht für eine der zwei Säulen, auf denen das deutsche Nachwuchssystem fußt: Hoffnungsvolle junge Spieler sollen zum einen in den Stützpunkten des Deutschen Fußballbundes und zum anderen in professionellen Leistungszentren der Bundesligisten ausgebildet und gefördert werden.

Ein Blick in die Nachbarländer wies den Weg: Ajax Amsterdam beherrschte mit seiner „Ajax-Schule” mitte der 90’er Jahre den internationalen Vereinsfußball. Frankreich züchtete in professionellen Fußballinternaten die Generation, die sich mit dem WM-Titel 1998 selbst vergoldete. Strukturen, die in Deutschland fehlten. „Die Vereine haben jahrzehntelang vor sich hin gewurschtelt. Ohne übergeordnetes Konzept, alle nebenher statt miteinander”, sagt Herbert Hrubesch.

„Flächendeckend” ist das Netz, das sich über das ganze Land erstreckt. In 366 Stützpunkten betreuen fast 1000 hauptamtliche Trainer über 14 000 junge Talente. Einmal wöchtentlich steht neben dem Vereinstraining zusätzlich Technik und Taktik auf dem Plan. Jedes Talent soll sich präsentieren können, vorhandene Talente sollen noch besser werden.

„Wir brauchen diese Breite, damit in der Spitze ausreichend Spieler ankommen”, sagt Hrubesch. 10 Millionen Euro lässt sich der DFB die Talentförderung jährlich kosten.

Doch der Verband ist nur die erste von zwei Säulen. Seit der Saison 2002/03 hat die Deutsche Fußball-Liga (DFL) den Profi-Vereinen die Auflage erteilt, ihre Jugendarbeit in einem Leistungszentrum zu führen. Andernfalls gibt es keine Lizenz. In die Zentren ist bislang fast eine halbe Milliarde Euro geflossen, im vergangenen Jahr allein 83 Millionen.

Zwischen zwölf und 23 Jahre sind die 5500 Spieler, die in den Nachwuchsteams der Profivereine ausgebildet werden. „Ein steiniger Weg. Den Sprung in die Bundesliga schaffen nur wenige”, sagt DFL-Direktor Andreas Nagel, der für die Talentakademien zuständig ist.

Thomas Müller wurde bei der WM Torschützenkönig und bester junger Spieler.
Thomas Müller wurde bei der WM Torschützenkönig und bester junger Spieler.

Aus dem Internat zur WM

Einige, die es geschafft haben, hängen vor dem Büro von Uwe Scherr in Gelsenkirchen. Der Leiter der Nachwuchsabteilung des FC Schalke hat 24 Portraits von ehemaligen Talenten im Flur des Leistungszentrums aufhängen lassen.

Jeder einzelne von ihnen wurde Bundesligaprofi. Spieler wie Manuel Neuer, Mesut Özil oder der Kameruner Joel Matip waren bei der Weltmeisterschaft in Südafrika am Ball. Die Bilder sind gleichermaßen Erinnerung an die erfolgreiche Entwicklung der Stars von heute und das Versprechen einer strahlenden Zukunft an die von morgen.

Die Talente streben den Weg in den Profi-Fußball an, die Clubs wollen perfekt ausgebildete Spieler. Das Ziel ist unterschiedlich, der Weg der gleiche. Und er führt nur über intensives, professionelles Training. Vom Busfahrer bis zum Trainer kümmern sich auf Schalke knapp 100 Mitarbeiter um den Nachwuchs.

Bereits Siebenjährige können sich bei den Großvereinen wie Dortmund, Bochum oder Schalke beim Probetraining empfehlen: „Wir wollen gute junge Leute aus dieser Region frühzeitig an den Verein binden”, sagt Scherr.

Ab der U12 trainieren die Talente bereits viermal in der Woche, ab dem 15. Lebensjahr ziehen die Besten ins vereinseigene Internat. Diese „Kaderschmieden” der Clubs ähneln den vom DFB geführten „Eliteschulen des Fußballs”. Zwischen Deutsch und Mathe steht Fußball auf dem Stundenplan.

Trauma überwunden

Die vielschichtige Jugendförderung trägt Früchte. Für die Vereine und die Nationalmannschaft. Die DFB-Junioren-Teams schafften, was noch keiner Nation gelang: Im vergangenen Jahr wurden sie Europameister in allen Altersklassen, von der U17 über die U19 bis zur U21. Trainer der älteren beiden Jahrgänge war übrigens Horst Hrubesch. Das Trauma von Rotterdam inklusive aller Nachwuchssorgen dürfte er vorerst überwunden haben. Auch zum Erfolg der A-Nationalmannschaft trug Hrubesch bei. „Sechs Spieler aus unserem WM-Kader wurden ein Jahr zuvor in Schweden U21-Europameister”, erklärt DFL-Chef Christian Seifert: „Das sind die Spieler, die 2002, als wir mit der Talentförderung begonnen haben, zwölf oder 13 Jahre alt waren.”

Beeindruckend: Von 23 Spielern haben 19 die Leistungszentren der Bundesligisten durchlaufen. Der deutsche Fußball erntet jetzt, was er vor Jahren säte. Und der Ertrag könnte noch weiter steigen: Von 552 Bundesligaspielern kamen in der abgelaufenen Saison 122 aus den Nachwuchszentren der Vereine, 22 Prozent. Tendenz steigend.

Eine Gefahr lauert jedoch im Hintergrund: „Es ist ein schmaler Grat zwischen Zufriedenheit und Selbstzufriedenheit”, sagt Seifert. Der aktuelle Erfolg könne blenden, zum Schludern verleiten. Es war DFB-Sportdirektor Matthias Sammer, der mehrfach betonte: „Im Erfolg macht man am leichtesten Fehler.”