München. Rekordmeister Bayern München und Trainer Louis van Gaal brauchen kurzfristig Erfolge – den ersten am Dienstag in der Champions League gegen Girondins Bordeaux.

Manchmal gibt es diese Momente, in denen Louis van Gaal seine Umwelt in Staunen versetzt. Das 0:0 beim VfB Stuttgart, das wieder einmal nicht Fisch und nicht Fleisch war, lag schon eine geraume Zeit hinter Bayern Münchens Trainer, da sprach der Niederländer über seinen Stürmer Mario Gomez und die Fans des VfB Stuttgart: „Ich dachte, sie unterstützen Mario.” Aber noch bevor man das auf der Haben-Seite des Trainers verbuchen kann, schickt er diesen Blick in die Runde, prüfend wie ein Lehrer, der sehen will, wem die Ironie entgangen ist.

Man hat es nicht leicht mit Louis van Gaal. Einen Satz wie den über Ex-Stuttgarter Gomez und die gnadenlos pfeifenden VfB-Fans meint er natürlich nicht ernst, denn van Gaal hat durchaus Sinn für Ironie. Das ist die eine Seite des 58-Jährigen. Die andere ist die eines Mannes, der oft oberlehrerhaft und stur wirkt, der nicht von seinen Prinzipien abweicht und sich dabei in Kleinigkeiten verheddert. Eine Sitzordnung beim Mittagessen war im Kader des FC Bayern tatsächlich Thema.

Schwanken zwischen den Extremen

Das Schwanken zwischen Extremen hat van Gaal in München nicht für sich gepachtet. Alle schlingern sie im Moment zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Manager Uli Hoeneß schafft es vor dem Champions League-Spiel am Dienstag gegen Girondins Bordeaux (20.45 Uhr, live im DerWesten-Ticker), in einem Atemzug den Anspruch zu formulieren, in der Liga bis Weihnachten auf Platz eins zu stehen und zu bekennen: „Ich bin nervös.”

Das ist vermutlich untertrieben, der ganze FC Bayern wirkt nervös. Man muss nach nur vier Punkten aus drei Gruppenspielen unbedingt gewinnen, um die Chance zu wahren, ins Achtelfinale einzuziehen. Es geht um Millionen, ums Prestige und um das Selbstverständnis eines Vereins, der von sich verlangt, diesen Wettbewerb bald mal wieder zu gewinnen – ein Scheitern in der Gruppenphase ist da einfach nicht vorgesehen.

Viele Experimente

Der Fall würde bei einer Niederlage gegen Bordeaux ganz nahe rücken und dann würde es wohl auch für Louis van Gaal ungemütlich. Er hat viel experimentiert, für manchen zu viel. Im Moment pendelt sich das System der Bayern bei einem 4-4-2 ein. In Frankfurt hat das vor einer Woche beim 4:0-Pokalsieg prima funktioniert, in Stuttgart beim 0:0 überhaupt nicht. Die Bayern spielten in die Breite wie unter Giovanni Trapattoni, sie hatten den Ball, sie hielten den Ball, aber Chancen kamen bei all dem Ballbesitz nicht heraus, weil Philipp Lahm immer noch auf der verkehrten Seite spielt, weil Bastian Schweinsteiger das Spiel langsam und nicht schnell macht, weil Mario Gomez seine 30-Millionen-Ablöse herumschleppt wie einen Sack Zement auf den Schultern. Weil dieser FC Bayern, wie Uli Hoeneß einräumte, ohne Franck Ribery und Arjen Robben „nicht derselbe Verein ist”, und weil über all dem die Bayern-Mentalität alter Zeiten verloren gegangen zu sein scheint. Es hätte ja ein Wochenende wie früher werden können, eines, an dem die Konkurrenz ausnahmslos unentschieden spielt oder verliert und München das ausnutzt, glanzlos, aber eiskalt. Daran sind die anderen früher nach und nach zerbrochen. Nur, dass es diesmal den entscheidenden Unterschied gab: Alle spielten für die Bayern, nur die Bayern nicht.

So bleibt Louis van Gaal, der doch langfristige Prozesse anstoßen soll, verdammt dazu, kurzfristig Erfolg zu haben. Vor allem heute gegen Bordeaux, ein für die Bayern eminent wichtiges Spiel, vielleicht eines dieser Schlüsselspiele, die eine Saison entscheiden. Thomas Müller und Daniel van Buyten fehlen, sie sind nach ihren Platzverweisen beim 1:2 in Bordeaux gesperrt. Franck Ribery wird nicht auflaufen können, Arjen Robben soll auf der Bank sitzen, als Joker. Für den Fall, das etwas zu passieren droht, was nicht passieren darf.

Louis van Gaals Landsmann Mark van Bommel hat es gestern so ausgedrückt: „Wenn wir gewinnen, ist das okay, wenn wir unentschieden spielen, ist das katastrophal, und wenn wir verlieren, geht die Welt fast unter.” Sein Trainer wird ihm aufmerksam zugehört haben.