Dortmund. Im September 2004 verliert Borussia Dortmund das Derby mit 0:4, und ein ehemaliger BVB-Star ist der Mann des Tages.

In Sydney laufen die olympischen Sommerspiele. Die amerikanische Sprinterin Marion Jones, damals noch nicht als Dopingsünderin enttarnt, triumphiert über 100 Meter, der britische Ruderer Steve Redgrave holt sich schon sein fünftes olympisches Gold, und die Niederlande bejubeln die beeindruckenden Goldsammlungen ihrer Schwimmstars Inge de Bruijn und Pieter van den Hoogenband.

Na und?

Lasst die Welt hinschauen, das Ruhrgebiet schaut weg. Es hat an jenem 23. September des Jahres 2000 ein eigenes Gesprächsthema, ein größeres, hierzulande nicht zu toppen. Es erlebt ein Fußballspiel, das in die Kategorie „unvergessen” einsortiert werden muss. Ein Spiel, bei dem sich die Zuschauer mehrmals fragen müssen, ob sie wohl als Massenopfer einer gigantischen Versteckte-Kamera-Show missbraucht werden.

Schalke 04 gewinnt bei Borussia Dortmund – kann passieren, ist bis dahin noch keine sensationelle Nachricht. Schalke 04 gewinnt bei Borussia Dortmund 4:0 – schon ist die Bedeutung gesteigert. Schalke 04 gewinnt bei Borussia Dortmund 4:0 und feiert Andreas Möller – jetzt ist die Ausnahmestory perfekt.

Es gab zuvor schon einige Spieler, die sich getraut hatten, das blau-weiße Leibchen mit dem schwarz-gelben zu tauschen. Die prominentesten waren von Schalke nach Dortmund gewechselt: Stan Libuda, Rüdiger Abramczik, Rolf Rüssmann. Doch ein Transfer in die andere Richtung blieb bis heute der außergewöhnlichste von allen: Ausgerechnet Andreas Möller, jahrelang von den Schalker Fans als Heulsuse verspottet, hatte die Seiten gewechselt.

Beim Derby in Dortmund muss sich die Reizfigur an nichts Neues gewöhnen: Wieder winken ihm die gegnerischen Fans mit Taschentüchern zu – jetzt bloß von der anderen Seite, von der Dortmunder Südtribüne, vor der Möller so manches Tor für den BVB gefeiert hat.

Diesmal trifft er nicht, und trotzdem ist es sein Spiel. Er liest es, er lenkt es, er zaubert eine Glanzleistung auf den Rasen. Die Rückkehr ins Westfalenstadion, das er hinterher „mein Wohnzimmer” nennt, wird zu seinem persönlichen Triumphzug.

„Einmal Verräter, immer Verräter” steht auf einem Transparent. Gegenüber beweisen die Schalker Sinn für feinen Humor: „Andy, das Kampfschwein”, haben sie auf ein Laken gepinselt.

Ist Möller am Ball, pfeift ganz Dortmund. Er lässt sich nicht beirren. „Ich habe normal geschlafen”, erzählt er.

Seine aufrechte Haltung, seine elegante Ballbehandlung: Die Körpersprache verrät, dass er sich hier als Sieger präsentieren will. „Ohne Möller habt ihr keine Chance”, höhnen die Schalker Fans.

Zur Pause führt Schalke 2:0, Jörg Böhme versenkt einen Elfmeter, Emile Mpenza legt nach. Als Jörg Heinrich nach einer Stunde ein Eigentor unterläuft, ist der BVB erledigt. Ebbe Sand gönnt Schalke mit dem 4:0 eine Zugabe.

Andreas Möller erklärt anschließend, dass er keine Genugtuung empfinde. Er wolle lediglich „das alte Klischee beseitigen” und sich „auf Schalke beweisen – in einem Verein, der für Fleiß und Arbeit steht”.

Als die anderen in den Katakomben verschwinden, steht er noch vor den Schalker Fans. Allein. Er verneigt sich. Alles, was Königsblau trägt, brüllt „Andy, Andy”. Andreas Möller schließt kurz die Augen. Er weiß: Jetzt ist er ein Schalker.