Essen/Liepaja. Rüdiger Abramczik ist ein echter Schalker Junge. Zum Derby-Helden wurde er aber nicht beim FC Schalke 04, sondern beim BVB. Mit zwei Toren drehte der Rechtsaußen 1983 die Partie beim 2:1. Und dennoch: Derbys sieht Abramczik, der jetzt Vereinstrainer in Lettland ist, ganz unaufgeregt.

"Man probiert natürlich alles", sagt Rüdiger Abramczik im Rückblick. "Es ging ja nicht gegen Schalke, es ging darum, Tore für meinen Verein zu schießen." Und das sei in dem Fall eben Borussia Dortmund gewesen. Er wisse nicht einmal, ob jenes 2:1 am 5. März 1983 im Parkstadion der schönste Derbymoment für ihn gewesen sei. "Ich habe auch mit Schalke ein paar Mal gegen Dortmund gewonnen", sagt er trocken. "Für mich waren das zwei Vereine, von denen ich bezahlt wurde."

"Du darfst nicht wechseln? Das ist Blödsinn"

Als etwas Besonderes will Rüdiger Abramczik die Ruhrgebietsderbys nicht empfunden haben: "Das war für mich ein Bundesliga-Spiel wie jedes andere auch. Gegen Bayern waren auch immer 60.000 oder 70.000 Zuschauer da. Und dass gesagt wurde ‚Du darfst nicht wechseln von Schalke nach Dortmund’ – das ist Blödsinn." So schlimm sei das nicht gewesen.

In den vergangenen Jahrzehnten habe sich der Charakter des Derbys weiter verändert – auch durch die Arbeit der Fanbeauftragten. "Da ist viel Streit und viel Hass rausgenommen worden", so Rüdiger Abramczik. "Das finde ich auch ganz vernünftig."

Merkel: "Er wird seinen Kopf nie zum Denken benutzen"

Diese Vernunft hatte ihm ein gewisser Max Merkel einmal abgesprochen. "Er wird nie Kopfweh bekommen, weil er seinen Kopf nie zum Denken benutzen wird. Ehe er Nationalspieler wird, werde ich Sänger an der Metropolitan Opera", hatte die Trainerlegende über Abramczik gesagt. Merkel überstand seine einzige Saison (1975/76) als Schalker Coach nicht – Abramczik gab 1977 beim 5:0 gegen Nordirland sein Debüt in der deutschen Nationalmannschaft.

Eine Vernunftentscheidung war es für Abramczik auch, in Lettland zu bleiben. Dort nämlich trainiert der 53-Jährige Metalurgs Liepaja und wurde in der Vorsaison Vizemeister. Europa-League-Qualifikation bedeutete das, wo aber Dinamo Tiflis zu stark war.

Die Erzrivalen von Metalurgs Liepaja sind der frühere Serienmeister Skonto Riga und der amtierende Meister FK Ventspils, der Hertha BSC in der Europa-League ein 1:1 abtrotzte. Aber ein echtes Derby? Fehlanzeige. Ventspils liegt 120 Kilometer entfernt, Riga 219 Kilometer. Von wegen Straßenbahnduell.

Eishockey läuft Fußball in Lettland den Rang ab

Zwischen 3.000 und 4.000 Zuschauer kommen bei guten Spielen in Lettlands Eliteliga. Überträgt das Fernsehen live, kommen weniger. "Man muss auch aufpassen, wenn Eishockey und Fußball an einem Tag ist", so Abramczik. Eishockey ist der lettische Nationalsport.

Das Niveau schätzt Rüdiger Abramczik als einigermaßen hoch ein: "Lettland ist ja nicht so ein Buschland, wie man sich das vielleicht vorstellt. Hier wird anständiger Fußball gespielt, das ist keine Hauruck-Liga. Die guten Vereine könnten oben in der Zweiten Bundesliga mitspielen."

Am Samstag wird Metalurgs Liepaja versuchen, gegen Aufsteiger Tranzits Ventspils den nächsten Sieg zu landen. Anstoß ist um 18 Uhr deutscher Zeit. Das Revierderby Dortmund gegen Schalke wird Rüdiger Abramczik deshalb wohl verpassen. "Am liebsten wäre mir ein Unentschieden", so der 53-Jährige. "Mein Gefühl sagt mir, dass Dortmund gewinnen wird. Ich bin zwar ein Junge aus Schalke, ich bin aber auch Realist."