Bremen. Werder Bremen erlebt nach glorreichen Epochen den Niedergang. Für Trainer Kohfeldt wird das Pokal-Halbfinale gegen Leipzig zum Endspiel.

In einer Beziehung bleibt sich Werder Bremen treu. Zur branchenüblichen Methode, in bedrohlichen Momenten allein das Heil in dem Austausch des Trainers zu suchen, ließen sich die Hanseaten nicht hinreißen. Zu Wochenbeginn entschieden die Gremien des abermals von akuter Abstiegsgefahr geplagten Erstligisten, an ihrem umstrittenen Coach festzuhalten. „Florian Kohfeldt bleibt Cheftrainer“, vermeldete Werder. Eine eingeschränkte Jobgarantie für den 38-Jährigen, für den das Pokal-Halbfinale gegen RB Leipzig heute (20.30 Uhr/ARD und Sky) zu einem Endspiel in eigener Sache wird.

Eine verblüffende und durchaus diskutable Entscheidung, zwiespältig aufgenommen in Öffentlichkeit und Fankreisen. Unverständnis bei vielen ob der Zögerlichkeit und Untätigkeit der Vereinsführung, wohingegen andere Stimmen, die Besonnenheit und Abgeklärtheit der Entscheider hervorheben, zusammengefasst in einem geflügelten Sprichwort: In der Ruhe liegt die Kraft! Selbst in angespannten Krisenzeiten das Markenzeichen und Gütesiegel der hanseatischen Bosse.

Otto Rehhagel, Thomas Schaaf und Klaus Allofs

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Diese oft glorifizierte Werder-DNA, überhöht noch von der Mär der „heilen Welt in der großen Werder-Familie“, bleibt das einzige Relikt aus den glorreichen Epochen der Vereinsgeschichte. Ansonsten erinnert wenig an die erfolgreichen Zeitabschnitte, geprägt von Legenden wie dem Essener Otto Rehhagel oder dem Duo Thomas Schaaf und Klaus Allofs. Werder ist zum „SV Beliebig“ mutiert. Einst in der Gunst des Publikums weit oben angesiedelt, interessiert der Klub und dessen Schicksal kaum noch die breite Masse. Bremen ist längst ein Mitläufer in der Liga, ein Nebendarsteller, sportlich schon seit gut einem Jahrzehnt.

„Eine graue Maus“, sagen unisono Altvordere wie Dieter Burdenski und Uli Borowka. Beide mit dem Zusatz: „leider Gottes“.

Die negative Entwicklung, die mit dem Ende der Ära Schaaf seit 2013 ein rasantes Tempo aufnahm, bereitet besonders den Ehemaligen des Zweitplatzierten in der ewigen Bundesligatabelle regelrecht körperliche Beschwerden. „Es tut schon weh“, betont angesichts der „überschaubaren Leistungen“ Ex-Spieler Sebastian Prödl. Er fürchtet sich davor, sein ehemaliger Arbeitgeber könne in die „tragischen Fußstapfen von Schalke“ geraten.

"Der Ball ist unser größter Feind“

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Der Niedergang ist unaufhaltsam. Wohlwollend umschreibt es Ivan Klasnic, Torjäger der Double-Elf von 2004, mit den Worten: „Wir befinden uns in einer Phase des Neuanfangs.“ Was Klasnic charakterisiert als „effektiven Fußball“, drücken andere drastischer aus. „Der Ball ist unser größter Feind“, kritisiert beispielsweise Jürgen L. Born, der ehemalige Präsident, der einen gewaltigen Abwärtstrend registriert.

Offensivfußball und Attraktionen am laufenden Band, so die bewunderte Gestaltungsweise, als in der Born-Ägide das Tandem Schaaf/Allofs regierte. Ähnlich dem Konzept der legendären „Kontrollierten Offensive“ aus der glanzvollen Otto-Regentschaft. Und heute? „Unterkühlte Unterhaltung“, moniert Dieter Burdenski. Spielerische Armut, Sicherheit präferiert, Abwehren und Zerstören an erster Stelle.

Es ist auch ein Resultat der Wandlung beim Coach. Kohfeldt, im Grunde ein glühender Verfechter des Vorwärtsgangs, hat die Akzente verlagert: Schwerpunkt auf die Defensive, eine Verschiebung mit Folgen. Der Trainer habe seine Bahn verlassen, sagt Borowka, Verteidigungskünstler alter Zeiten, und hält dieses Plädoyer für die Abteilung Attacke: „Darunter leidet die Offensive, darunter leidet der Fußball.“

Es fehlen Typen und Hoffnungen

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Tristesse an der Weser. Weiterentwicklung gleich null, Spektakel meist Fehlanzeige. Die großen Stars fehlen. Micoud und Diego, Ailton, Miroslav Klose und Mesut Özil, um nur einige aufzuzählen, sind längst Historie. Über die Erben, zu denen er selbst mal zählte, sagt Martin Harnik: Seine früheren Mitspieler seien alles nette Kerle, „doch ich weiß nicht, von wem ich mir ein Trikot kaufen würde“.

Es fehlen die Typen, es fehlt die Hoffnung auf bessere Zeiten. Auch der Pokal bietet nur begrenzt eine Perspektive. Selbst wenn mit einem Überraschungscoup gegen Leipzig, was einem der berühmten Werder-Wunder gleich käme, der Einzug ins Finale gelänge, verkleinerten sich kaum die Sorgen. Der Klassenerhalt hinge weiter am seidenen Faden, die Zukunft des Trainers Florian Kohfeldt ohnehin und mehr noch das Wohlergehen des Vereins.