Lissabon/Essen. Der FC Bayern geht als großer Favorit ins Champions-League-Halbfinale gegen Olympique Lyon. FCB-Legende Giovane Elber glaubt an das Triple.

Auch 17 Jahre nach seinem Abschied vom FC Bayern hat Giovane Elber das Bayrische fest in seinem Wortschatz integriert. „Servus“ grüßt er stilecht aus Lissabon. Der 47-Jährige, der Markenbotschafter für den deutschen Fußball-Rekordmeister ist, residiert im gleichen Hotel wie die Münchener vor dem Champions-League-Halbfinale an diesem Mittwoch (21 Uhr/Sky) gegen Olympique Lyon.

Ein Gespräch über Tränen nach einem Tor gegen seine alte Liebe, die Favoritenstellung beim FC Bayern sowie die Überflieger Alphonso Davies und Robert Lewandowski.

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Herr Elber, in Deutschland erinnert man sich gern an Ihre Tore für den FC Bayern und den VfB Stuttgart. Von 2003 bis 2005 spielten Sie für Olympique Lyon. Welche Erinnerungen haben Sie an diese Zeit?

Giovane Elber: Beim FC Bayern habe ich viermal die Meisterschaft geholt und zwei Champions-League-Finals gespielt. Mehr geht nicht. Lyon war damals ein aufstrebendes Team, das kurz vor meinem Wechsel seinen ersten Meistertitel geholt hatte. Der Klub war im Aufbau und viel kleiner als der FC Bayern. Nach sieben Meisterschaften in Folge hat sich der Verein inzwischen zu einer Top-Adresse entwickelt. Ich denke gern an die Zeit zurück, obwohl mein Herz am FC Bayern hängt.

Mit Lyon haben Sie 2003 kurz nach Ihrem Wechsel in der Champions League gegen die Bayern gespielt und auswärts das 2:1-Siegtor geschossen. Gegen Ihre alte Liebe.

Giovane Elber (r.) im Trikot von Olympique Lyon. 2003 spielt er für OL gegen seinen Ex-Klub FC Bayern - und erzielte das 2:1-Siegtor.
Giovane Elber (r.) im Trikot von Olympique Lyon. 2003 spielt er für OL gegen seinen Ex-Klub FC Bayern - und erzielte das 2:1-Siegtor. © getty Images

Elber: Das war purer Wahnsinn. Wenige Wochen vor dem Spiel stand ich noch mit meinen Freunden vom FC Bayern auf dem Platz. Dann spiele ich plötzlich gegen sie – in meinem Lieblingsstadion – und schieße das entscheidende Tor. Selbst die Bayern-Fans haben mich danach gefeiert. Ich war überwältigt, mir kamen die Tränen. Spätestens da wurde mir klar, dass ich etwas für den FC Bayern geleistet haben muss.

Nun treffen Ihre beiden Ex-Klubs in der Champions League aufeinander. Was hat Sie zuletzt mehr überrascht: das 8:2 der Münchener gegen Barcelona oder Lyons Sieg gegen Manchester City?

Elber: Das 8:2 war der Wahnsinn. Dieses Spiel hat gezeigt, was wir aktuell für eine tolle Mannschaft haben. Auch beim Stand von 5:2 sind die Jungs marschiert und wollten immer mehr. Ich dachte zwischenzeitlich: Um Gottes willen, bleibt doch hinten und macht zu. (lacht)

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Kann diese Mannschaft überhaupt noch gestoppt werden?

Elber: Wir können etwas Großes erreichen und hätten das Triple verdient. Es zählt jetzt nur noch der Titel. Besonders beeindruckt hat mich nach dem 8:2, dass sich kein Spieler lange gefreut hat. Sie haben auch nach einem großen Sieg Respekt gezeigt. Zu meiner Zeit hätte das wahrscheinlich nicht so funktioniert (lacht). Wir wären in der Kabine nach so einem Sieg gegen Barcelona durchgedreht.

Als großer Favorit stehen die Bayern nun gegen Lyon unter Druck.

Elber: Verliert man, ist man der Depp der Nation, die Lachnummer der Welt. Der Druck ist groß, Lyon hat nichts zu verlieren.

Was macht Olympique gefährlich?

Elber: Dass Lyon überhaupt das Viertelfinale erreicht hat, war eine Sensation. Jeder hat damit gerechnet, dass sie schon an Juventus scheitern würden. Doch Lyon kommt weiter und schlägt auch Manchester City. Mit Glück hat das nichts zu tun. Vor allem defensiv sind sie schwer zu knacken. Lyon lässt dem Gegner keinen Raum, schaltet gut um, ist mit den schnellen Stürmern gefährlich. Sie erinnern mich an Atlético Madrid. Diese Leidenschaft ist klasse.

Kann die Bayern-Defensive den Kontern standhalten?

Elber: Wir haben mit Leon Goretzka und Thiago zwei schlaue Spieler vor der Abwehr, die Meister darin sind, Gegenangriffe zu stoppen. Falls sie überspielt werden, schafft es der schnelle Alphonso Davies oft noch, die Stürmer einzuholen. Es ist unglaublich, wie er schon mit 19 Jahren spielt. Zu meiner aktiven Zeit hätte ich nur ungern gegen einen Jungen wie ihn gespielt. Selbst wenn man ihn ausdribbelt, ist er nur Sekunden später zurück.

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Einer Ihrer Nachfolger im Bayern-Sturm ist Robert Lewandowski.

Elber: Er ist für mich der kompletteste Stürmer der Welt. Natürlich sind auch Luis Suárez und Kylian Mbappé stark – aber was Robert leistet, ist einmalig. Er hätte es sogar verdient, Weltfußballer zu werden. In diesem Jahr geht es nicht um Lionel Messi oder Cristiano Ronaldo. Es kann nur Lewandowski sein.

Sie haben auch das Mittelfeldzentrum des FC Bayern angesprochen, wo Goretzka eine starke Saison spielt. Was zeichnet ihn aus?

Elber: Spiele gewinnt man in der Defensive, nicht durchs Marschieren nach vorne. Leon kann beides: Er ist offensiv ein wichtiger Faktor, doch zusammen mit Thiago auch defensiv präsent. Dass Leon beim FC Bayern so schnell unverzichtbar ist, hätte ich vor einigen Monaten nicht gedacht. Doch das zeigt seinen tollen Charakter. Er arbeitet hart, passt sich an und ganz wichtig: Er bekommt das Vertrauen vom Trainer.

Warum ist das so wichtig?

Elber: Zu meiner Zeit hieß es: Wir Südamerikaner bräuchten das Vertrauen, um gut zu spielen. Doch jeder Spieler braucht Zuspruch. Gespräche mit dem Trainer sind wichtig. Es scheint, als hätte Hansi Flick ein Händchen für zwischenmenschliche Dinge. Auf dem Platz sieht man: Die Spieler machen alles richtig.

Inzwischen als Markenbotschafter des FC Bayern tätig: Giovane Elber
Inzwischen als Markenbotschafter des FC Bayern tätig: Giovane Elber © firo

Es scheint, als mache auch Flick alles richtig.

Elber: Er hat einen Lauf – und der hält hoffentlich noch mindestens zwei Spiele an. Was er anfasst, funktioniert. Bestes Beispiel für sein Händchen war die Einwechslung von Philippe Coutinho gegen Barcelona. Er kommt rein, macht in 15 Minuten zwei Tore und bereitet eins vor. Einen Weltstar so bei Laune zu halten, ist eine Riesenleistung.

Noch zwei Siege trennen die Bayern vom zweiten Triple nach 2013. Was halten sie vom K.o-Modus bei diesem besonderen Finalturnier?

Elber: In nur einem Spiel entscheidet weniger die Taktik, mehr die Tagesform. Lyon hat gezeigt, dass sich ein Außenseiter gegen die Großen durchsetzen kann. Die Fans lieben es. Ich kann mir gut vorstellen, dass wir diesen Modus auch in den kommenden Jahren sehen werden.