Essen. Die Fußball-Branche kämpft um den Erhalt, aber auch ums Image. Alles soll auf den Prüfstand gestellt werden. Doch Zweifel bleiben. Eine Analyse.
Auf dem Transfermarkt des Profifußballs, dieser großen Geldverschiebefläche, ist derzeit weniger los als auf den Wochenmärkten in unseren Städten. Vorsicht regiert, örtlich auch Angst. Viele Vereine können nicht sicher planen, weil sie nicht wissen, was die Corona-Krise noch mit und aus ihnen machen wird. Doch ein spektakulärer Transfer wird mit hoher Wahrscheinlichkeit zustandekommen: Der deutsche Nationalspieler Leroy Sané, in Wattenscheid aufgewachsen und auf Schalke zum Star gereift, wird in diesem Sommer mit hoher Wahrscheinlichkeit von Manchester City zum FC Bayern München wechseln. Es wird noch um die Ablösesumme gerangelt, medial sind Zahlen zwischen 40 Millionen und 65 Millionen Euro unterwegs.
Windhorst will bei Hertha nachlegen
Bei Hertha BSC hat derweil Investor Lars Windhorst, der einen provinziell anmutenden Hauptstadtverein mit Alte-Tante-Image in einen international erfolgreichen „Big-City-Club“ mit Schillernde-Diva-Attitüde verwandeln möchte, eine weitere Finanzspritze in Aussicht gestellt, nachdem er im Vorjahr über seine Beteiligungsgesellschaft für 224 Millionen Euro 49,9 Prozent der Hertha-Anteile erworben hatte. Es gebe die Bereitschaft, bei Bedarf noch mal „100, 150 Millionen Euro Eigenkapital zu investieren“.
Sané und Windhorst. Zwei Namen und zwei Nachrichten, die auf den ersten Blick nichts miteinander verbindet. Die aber beide diese Frage provozieren: Ist das die neue Bescheidenheit, von der im Profifußball die Rede ist?
Der FC Bayern wird sich, wie auch immer er sich mit den Engländern einigen wird, intern für einen Schnäppchenkauf feiern. Nach außen wird er eine gewisse Mäßigung dokumentieren können. Natürlich hat vor allem Sanés im August vergangenen Jahres erlittener Kreuzbandriss den Marktwert gesenkt, doch grundsätzlich waren Spieler seiner Güteklasse auch schon mal 100 Millionen Euro und mehr wert. Vor Corona.
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Finanzunternehmer Windhorst aber passt mit seiner Ankündigung so gut in diese Zeit wie ein Formel-1-Wagen zu einer Oldtimer-Rallye. Sein gesamtes Gebaren inklusive des spektakulären Fehlgriffs mit Jürgen Klinsmann wird schon seit Monaten kritisch beäugt. Während der Corona-Krise antizyklisch zu handeln, macht Windhorst außerhalb Berlins auch nicht gerade zu einem Sympathieträger. Wenn Wasserknappheit herrscht, kommt es eben nicht so gut an, wenn jemand selbstsicher verkündet, dass er Mineralwasser für die Klospülung benutzt.
DFB-Präsident Keller fordert mehr Demut
Fritz Keller würde niemals Namen nennen. Aber wer den Winzer aus dem Badischen kennt, der sich als Präsident des Deutschen Fußball-Bundes auch Nähe zur Basis zum Ziel gesetzt hat, der kann sich schon denken, welche Typen er beim Interview mit dem Spiegel gemeint haben könnte. Man sehe nun, „wozu es führt, wenn die Neureichen, von denen einige auch in der Bundesliga am Ball sind, mit ihrem Geld herumprotzen“, hat Keller gesagt. „Diese Großkotzigkeit fällt uns allen auf die Füße. Das ist eine Katastrophe für das Image des Fußballs. Wir müssen uns damit befassen, wie es nach der Krise weitergeht. Mit mehr Demut.“
Eine Reaktion kam aus dem Machtzentrum der Bundesliga – von Karl-Heinz Rummenigge, der Keller empfahl, vor der eigenen Tür zu fegen. Hat sich der Bayern-Chef im Wissen um die Sensibilität des bevorstehenden Sané-Deals von Keller attackiert gefühlt? Mittlerweile sollen die beiden sich ausgesprochen haben. Keller fordert, über Obergrenzen bei Spielergehältern zu reden – und freut sich, „dass ich da mit Karl-Heinz Rummenigge einer Meinung bin“.
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Dieses Thema als mögliche Lehre aus der Corona-Zeit, in der nur wenige Wirtschaftsbranchen dermaßen massiv an Ansehen verloren haben wie der wegen vermeintlich ungezügelter Profitgier beschimpfte Profifußball, bewegt auch Christian Seifert. Der als umsichtiger Krisenmanager aufgefallene Chef der Deutschen Fußball-Liga hat schon vor Wochen im FAZ-Interview gesagt, dass ein Reformprozess unumgänglich sei, Seifert schwebt der Einsatz einer „Taskforce Zukunft“ vor. „Die am stärksten wahrnehmbare Kritik findet sich an der Schnittstelle zwischen Sport und Wirtschaft“, sagt er . „Da geht es um Spielergehälter, schamlos zur Schau gestellten Reichtum, Ablösesummen sowie Berater, die Millionen kassieren.“ Die Gehaltsobergrenze, der sogenannte Salary Cap, könne ein Ansatz sein. Aber Seifert betont auch: „Ein Salary Cap verstößt gegen europäisches Recht.“ Und auch Rummenigge weist darauf hin, dass es eine „europäische Debatte“ geben müsse.
Die laute Musik spielt in England
Aus Sicht der deutschen Fußball-Bosse wäre ein Alleingang auf dem Weg zu mehr Vernunft sinnlos. Denn sie werden nicht dazu bereit sein, sich im europäischen Wettbewerb freiwillig geschlagen zu geben. Und die ganz laute Musik wird nun mal woanders gespielt. Vor allem in England, wo die Klubs Scheichs und Oligarchen gehören, die auf wirtschaftliche Folgen von Corona pfeifen können.
Ohne eine höchst unwahrscheinliche europäische Lösung dürfte es schwierig werden zu verhindern, dass die Hauptdarsteller auf der Bundesliga-Bühne auch in Zukunft im Goldregen stehen. Je nach Notlage könnte durch die Corona-Krise sogar das Thema 50+1 wieder aktuell werden, die Regel, die hierzulande verhindert, dass Kapitalanleger die Stimmenmehrheit bei Profiklubs übernehmen können. FC-Bayern-Präsident Herbert Hainer hat bereits vorgeschlagen, man sollte es „den Vereinen selbst überlassen, wie viele Anteile sie abgeben wollen“. Freie Fahrt für Investoren – da bliebe Demut auf der Strecke.
Der Kampf um vordere Plätze und gegen den Abstieg wird weiterhin dazu verführen, eher einen teuren Torjäger zu verpflichten als Rücklagen zu bilden. Die Angst vor plötzlichen Insolvenzen hat immerhin dazu geführt, dass das System hinterfragt wird. Die Kernfrage aber, ob der jahrelang von dauerhaftem Wachstum verwöhnte Profifußball tatsächlich bereit für einen Wertewandel ist, wird noch eine Zeit lang unbeantwortet bleiben.