Berlin. Schiedsrichter Daniel Siebert hat schon fünf Partien in leeren Stadien geleitet. Er glaubt: Ohne Emotionen von den Rängen geht es fairer zu.

Die Zwangspause kam eigentlich ganz passend. Seit die Corona-Krise den Fußball lahmgelegt hat, hat Daniel Siebert eine Menge Zeit, sich um sein Projekt Hausbau zu kümmern. Gräben ausschachten, Malerarbeiten, Lampen installieren – so rückt nicht nur der Umzugstermin näher, der Schiedsrichter hält sich ganz nebenbei auch noch fit. „Aber das ersetzt natürlich nicht das normale Training“, sagt der Berliner, der im Osten der Hauptstadt zu Hause ist.

Also heißt es nach dem Renovieren nicht unbedingt Regenerieren. „Wenn der Tag nicht so anstrengend war, power ich mich auch nochmal mit einem Kraft-Workout richtig aus“, sagt der 35-Jährige. Oder er geht in der Wuhlheide joggen. Zeit genug hat er dafür jedenfalls. Siebert muss nicht nur auf den Fußball verzichten, auch sein Job als Lehrer sieht gerade so ganz anders aus als gewöhnlich.

„Mir fehlt beides“, sagt der Klassenlehrer einer zehnten Klasse. Mittlerweile durften die Abschlussjahrgänge langsam aber sicher in den Schulalltag zurückkehren. Ein erster Schritt Richtung Normalität. Ob das auch beim Fußball bald der Fall sein wird? Noch muss die Deutsche Fußball-Liga (DFL) auf das Startsignal der Politik warten. Sollte es dann Mitte oder Ende Mai weitergehen mit der Bundesliga-Saison, gilt es mit einigen Änderungen klarzukommen. Zum Beispiel mit der gespenstischen Kulisse, so ganz ohne Zuschauer im Stadion.

Ein Experte in Sachen Geisterspiele

Für Siebert ist das kein Problem. Der Unparteiische vom FC Nordost Berlin ist ein Experte in Sachen Geisterspiele. „Ich hatte diese Saison schon zwei solcher Partien, damit bin ich wahrscheinlich gerade so erfahren wie kaum ein anderer deutscher Schiedsrichter“, sagt er. Erst musste er vergangenen August im Europa-League-Play-off in Griechenland im leeren Stadion pfeifen, dann folgte Ende Februar ein Corona-bedingtes Geisterspiel in der Europa League in Mailand.

Fünf zuschauerlose Partien insgesamt hat der Referee schon geleitet. Und ist dabei fast so etwas wie ein Fan geworden. „Es ist anders, aber es ist leichter“, sagt Siebert, der seit der Saison 2012/13 auf 102 Bundesliga-Einsätze kommt. Dass er nicht gegen Zehntausende Anhänger anbrüllen muss, um sich bei den Spielern Gehör zu verschaffen, sei schon entspannter. Noch besser aber ist, „dass man Fouls hören kann“.

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Während er sich vor ausverkauftem Haus meist nur auf sein Bauchgefühl verlassen muss, hört Siebert bei Geisterspielen das Klappern. „Man hört den Fußkontakt, Schienbein an Schienbein oder Sohle an Sohle. Das erzeugt ganz bestimmte Geräusche. Und als Schiedsrichter habe ich ein geschultes Ohr dafür, welcher Kontakt regelwidrig und welcher noch im Rahmen eines fairen Zweikampfes ist“, erzählt er. Die Spieler stehen also nicht nur unter doppelter Beobachtung von Schiedsrichter und Videoassistent – Siebert hört auch noch genau zu.

„Die Spieler konzentrieren sich auf das Fußballspielen“

Der Fifa-Schiedsrichter hat auch deswegen beobachtet, dass es bei Geisterspielen um einiges fairer zugeht, als bei Partien mit Publikum. „Die Emotionen sind raus, die Spieler konzentrieren sich auf das Fußballspielen“, sagt Siebert. „Natürlich hat man mal strittige Einzelsituation, aber die hallen nicht so nach, wie bei Spielen mit Publikum, das dann noch länger pfeift und damit Druck aufbaut.“

Das dürfte dann sogar einem Derby, wie dem zwischen Hertha BSC und dem 1. FC Union, ein wenig Brisanz nehmen. „Das ist auch eine psychologische Sache. Viele Spieler zetteln manchmal eine Rudelbildung an oder holen eine Grätsche raus, um ein Zeichen zu setzen oder der Mannschaft einen Ruck zu geben. Meistens springt dann auch das Publikum mit auf. Aber der Effekt, der verpufft bei Geisterspielen“, sagt Siebert.

Rudelbildungen sind in Zeiten von Kontaktbeschränkungen und Mindestabstand sowieso nicht ratsam. Ebenso wenig wie die Ansammlung von Zehntausenden Menschen an einem Ort. Das aber ist überhaupt erst die Voraussetzung dafür, dass die DFL an eine Fortsetzung der Saison denken darf. Und für Siebert sind Geisterspiele eben „das Opfer, das wir bringen müssen, damit es weitergehen kann“.

Video-Meeting der Elite-Schiedsrichter

Als Schiedsrichter schlägt sein Herz genauso wie das der Profis, Verantwortlichen und Fans für den Fußball. Deshalb hofft auch Siebert, dass es zeitnah weitergeht. Dass er wieder auf dem Rasen stehen darf, seine Pfeife im Mund, um eine Bundesliga-Partie anzupfeifen. Wo das sein wird, ist noch offen. Die Elite-Schiedsrichter wurden in einem Video-Meeting darüber informiert, wie es in der Corona-Krise mit den Ansetzungen funktionieren könnte.

Laut „Bild“ sollen die Unparteiischen zum einen regional eingesetzt werden, auf weite Reisen durch die Republik verzichten. Für Siebert würde das bedeuten, dass er erstmal rund um Berlin, vielleicht in Wolfsburg oder Leipzig pfeifen wird. Zum anderen sollen auch bei den Schiedsrichtern einen Tag vor dem Spiel Corona-Tests durchgeführt werden. „Die Gesundheit steht immer an erster Stelle. Wenn es aus irgendwelchen Gründen zu riskant ist, dann muss man die Saison leider abbrechen“, sagt Siebert.

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Noch mehr als auf die Fortführung der aktuellen Saison freut sich Siebert sowieso auf den Tag, an dem auch wieder Zuschauer im Stadion erlaubt sind – trotz seiner Sympathie für Geisterspiele. „Es ist ja so, wenn man Menschen etwas für längere Zeit wegnimmt und sie es dann irgendwann wiederbekommen, herrscht so eine große Begeisterung, eine Euphorie“, sagt er. „Weil die Leute es dann wertschätzen, dass sie bei einem Bundesliga-Spiel am Sonnabend um 15.30 Uhr im Stadion sitzen dürfen. Dann ist es nichts Normales mehr, sondern wieder was ganz Besonderes. Das wird man sicherlich bei allen Beteiligten spüren, und da freue ich mich jetzt schon drauf.“ Und bis dahin ist vielleicht auch schon der Umzug geschafft.