Frankfurt. Das Präsidium der Deutschen Fußball Liga beschäftigt sich heute mit Szenarien für die 1. und 2. Bundesliga. DFL-Chef Seifert ist gefragt.

Es ist gar nicht so lange her, genau genommen war es der 3. März, als die Deutsche Fußball-Liga (DFL) in ihre Zentrale geladen hatte. Die nahe gelegenen Hochhäuser des Frankfurter Bankenviertels waren an jenem Dienstag aus dem fünften Stock bei dem Regenwetter kaum zu erkennen. Christian Seifert, der Geschäftsführer, stellte im Konferenzraum die nächste Medienrechte-Ausschreibung vor. Ungefähr die Länge eines Fußballspiels erklärte der Stratege die komplizierten Zusammenhänge. Alle vier Jahre ist der Milliardenpoker seine wichtigste Aufgabe.

In kurzen Hosen Pizza holen

Normalerweise würde sich Seifert Ende April an einen geheimen Ort zurückziehen, um zwei Wochen später den nächsten Rekordabschluss auszuhandeln. Offiziell gilt dieser Plan noch immer. Aber der 50-Jährige gestand inzwischen unverblümt: „Die Frage ist ehrlich gesagt nicht meine drängendste.“ Die Corona-Krise hat auch den Profifußball infiziert. Aus dem Chefvermarkter ist der Krisenmanager geworden, der für 36 Lizenzvereine den „Kampf ums Überleben“ (Seifert) moderieren muss.

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Denn an diesem Dienstag schalten sich die neun Präsidiumsmitglieder der DFL telefonisch zusammen, um das weitere Vorgehen vorzubereiten. Beschlüsse sind nicht zu erwarten, diese sollen – soweit es die Gesamtlage zulässt – bei der außerplanmäßigen Mitgliederversammlung voraussichtlich am 31. März fallen. Fest steht aber bereits, dass der ohnehin von der DFL als unrealistisch eingestufte Termin am ersten April-Wochenende für eine Saisonfortsetzung nicht haltbar ist, gerechnet wird mit einer Absage aller Spieltage bis Ende April. Daher soll es für die 82 noch ausstehenden Bundesligapartien um Spielplan-Szenarien, aber auch um die Liquiditätssituation der Vereine und vorbereitende Maßnahmen gehen.

Die Kritik, dass die DFL kürzlich noch einen Spieltag unter Ausschluss der Öffentlichkeit durchziehen wollte, nahm Seifert an – und begründete dies mit seiner Verantwortung für 56.000 Arbeitsplätze. „Es wird nicht die letzte Entscheidung sein, die wir in den nächsten Tagen, Wochen und Monaten zu revidieren haben.“ Dass sich selbst seine Prioritäten radikal verschieben würden, hatte er nie gedacht. Der zweifache Familienvater, der am Wochenende im Frankfurter Westend schon mal in kurzen Hosen für einen Fernsehabend mit seinen Töchtern die Pizzen holt, wähnt sich „wie im Science-Fiction-Film“.

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Er kam 2005 als junger Medienmanager, der unter anderem für den Musiksender MTV gearbeitet hatte, zur DFL. Kommilitonen von der Universität Essen, wo der Nordbadener einst Kommunikationswissenschaften, Marketing und Soziologie studierte, waren schon damals ob seiner schnellen Auffassungsgabe verblüfft. Sein strategisches Denken sollte bald wertvoll werden, um die Bundesliga unternehmerisch besser zu positionieren. Vor seiner Zeit lag die Auslandsvermarktung völlig brach, viele Vereine lebten von der Hand in den Mund; Borussia Dortmund stand beispielsweise nahe am Abgrund.

Dass der deutsche Profifußball zuletzt einen Gesamtumsatz von 4,8 Milliarden Euro auswies und die meisten Klubs schwarze Zahlen schrieben, ist auch sein Verdienst. Als er 2013 und 2017 neue Fernsehverträge aushandelte, betrugen die Steigerungsraten 50 beziehungsweise 80 Prozent. Der flinke Denker verfügt über eine glänzende Rhetorik. Spitzfindigkeiten zählen zum Standardrepertoire. Doch es hat gedauert, bis der Mann der klaren Worte wirklich in der bisweilen eigenartigen Welt der Fußball-Funktionäre angekommen war.

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Inzwischen gibt es keinen mehr, der ihn maßregelt. Karl-Heinz Rummenigge, Fredi Bobic oder Max Eberl – sie sind alle angetan von seinen Fähigkeiten. Seifert outet sich gerne aus Jugendzeiten als Fan von Borussia Mönchengladbach. Unverfänglich, weil er keiner ist, der sich von Emotionen, von Fans und erst recht nicht von Medien treiben lässt. Seine Sicht auf die Dinge ist beileibe nicht immer vorgefertigt. Er hat erkannt, dass er nicht ständig den Deutschen Fußball-Bund (DFB) maßregeln kann, deshalb bat er beim jüngsten Neujahrsempfang den von ihm mit ausgesuchten Präsidenten Fritz Keller auf die Bühne.

Seitenhieb auf Politik und Parteien

Obgleich der Liga-Boss kürzlich von dessen Krisenmanagement wegen der Fanproteste ziemlich enttäuscht gewesen ist, ziehen DFL und DFB längst an einem Strang, um den deutschen Fußball irgendwann zurück in die Weltspitze zu hieven. Dazu sagte er beim Neujahrstreff: „Wir dürfen bei der Zukunftsfrage nicht den Fehler machen, der in Deutschland bei vielen großen Themen gemacht wird. Dass wir nämlich vieles angeblich besser wissen, aber objektiv nur noch wenig wirklich besser machen.“ Ein Seitenhieb auf Politik und Parteien.

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Seifert hat eine Institution geprägt, die international vielleicht sogar höher angesehen ist als national: Uefa-Boss Aleksander Ceferin oder Fifa-Chef Gianni Infantino gehen ans Handy, wenn der Bundesliga-CEO anruft. Zuletzt baute er einen Draht zu Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) auf. Auf der außerordentlichen Liga-Versammlung konnte er punkten. „Es mag vor dem Treffen unterschiedliche Sichtweisen gegeben haben“, sagte Seifert danach, „ich gehe davon aus, dass es jetzt nur noch eine ist.“ Pragmatisch schrieb er allen Skeptikern von Geisterspielen ins Stammbuch, dass diejenigen auch damit klarkommen müssten, dass es dann keine 18 Bundesligisten mehr gebe.

Ein Sturm zieht auf

Er wird die nächsten Wochen Stehvermögen und auch Wandlungsfähigkeit beweisen müssen. Seifert: „Wir müssen erst einmal einen Überblick bekommen, wer wie lange ohne Spiele durchhält.“ Viel deutet darauf hin, dass er wegen der Corona-Krise bald eine Flotte leck geschlagener Schiffe durch tosende See steuert. Es könnte auf dem Kurs ans rettende Ufer viele Richtungsänderungen brauchen, und auch ein Kentern droht für einzelne Boote. Aber es gibt kaum Zweifel, dass er für diesen riesigen Sturm, der sich gerade im Lande zusammenbraut, mit seiner Weitsicht für den Profifußball der richtige Steuermann ist.