Essen. Das Coronavirus hat den Sport erfasst. Doch der Fußball glaubt, an der Normalität festhalten zu können. Welch ein Irrtum. Ein Kommentar.

Nein, vieles ist nicht mehr so wie bisher. Um uns herum schließen Schulen, Theater, Ausstellungen. Wir halten Abstand voneinander, berühren uns nicht mehr, drehen uns weg. Wenn es irgendwie geht, meiden wir die Orte, an denen wir uns nicht mehr aus dem Weg gehen können. Den Zug zur Arbeit etwa, oder die Schlange vor der Supermarktkasse. In diesen Tagen der Coronakrise erleben wir, wie Liebgewonnenes verzichtbar und Wichtiges unwichtig wird.

Nur im Sport glaubt man bislang, an der Normalität festhalten zu können, indem man im Fußball ein Geisterspiel an das andere reiht. Haltet den Ball an.

Der Terminplan verbietet, nun das Vernünftige zu machen

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Von all’ den Absurditäten, die sich in den vergangenen Tagen ereigneten, war diese Szene, die sich am Abend nach dem Champions-League-Achtelfinale in Paris vor dem Prinzenpark abspielte, der bislang illustre Höhepunkt: Mit Böllern und Pyrotechnik feierten die Fans von Paris vor dem Stadion. Sie feierten den Ausgang einer Partie, die sie nicht sehen durften, und beklatschten das Weiterkommen ihrer Stars, zu denen sie zwei Meter Abstand halten sollten. Und um sie herum war Fußball längst zur Nebensache geworden.

Dies ist nicht die Zeit, in der man eine Saison durchzieht, weil die Liga halt zu einem Ende kommen muss. Weil es einen Meister, weil es Absteiger geben muss. Weil der Terminplan im europäischen Fußball es in diesem Jahr leider verbietet, nun das Vernünftige zu machen: den Spielbetrieb auszusetzen. So schnell wie möglich, überall.

Das bislang Undenkbare nimmt Gestalt an

Das Undenkbare, es nimmt plötzlich Gestalt an. Unfassbar, diese Dimension. Ja, Sport ist ein Kitt dieser Gesellschaft. Fußball ist weit mehr als bloße Unterhaltung und Kommerz, weil er Werte wie im Idealfall Fairness, Respekt oder Menschenwürde vermittelt. Weil er in Zeiten rassistischer Übergriffe die Botschaft aussenden kann, dass Toleranz und Vielfalt Stärken sind, die einen Sieger ausmachen. Und ja, Fußball ist eine milliardenschwere Unterhaltungsmaschinerie, die Menschen nicht nur Vergnügen, sondern auch ein geregeltes Einkommen garantiert.

Saisonabbrüche sind auch juristisch heikel, weil es um Haftungsfragen geht, um Schadenersatz und nicht eingehaltene Vertragsinhalte. Die wirtschaftlichen Folgen – sie treffen nicht nur börsennotierte Fußballklubs, sie haben auch Auswirkungen auf die Existenzen von Stadionbeschäftigten oder Bratwurstverkäufern.

Im Kampf gegen die Ausbreitung des Virus zählt jeder Tag

Die Entscheidung über eine Zwangspause oder gar über einen Abbruch der Saison ist keine nationale Angelegenheit, wie auch die Verbreitung des Coronavirus nicht einzelne Länder trifft, sondern weltweit auftritt. In Italien hat das Virus namens Sars-CoV-2 das öffentliche Leben inzwischen zum Erliegen gebracht. Die USA haben nun die Grenzen für Einreisende aus Europa geschlossen. Weltweit werden Menschen und Regionen unter Quarantäne gestellt, Veranstaltungen abgesagt. Denn anders als beim Sport ist in Krisenstäben und Regierungen diese Botschaft angekommen: Im Kampf gegen die Pandemie zählt jeder Tag.

Virologen weltweit fordern, die Sicherheitsmaßnahmen zur Eindämmung des Infektionsgeschehens zu verschärfen, um Zeit zu gewinnen. Für die Bewohner des europäischen Kontinents kann es bedeuten, vorerst auf Reisen verzichten zu müssen. Und damit rückt einer der sportlichen Höhepunkte des Jahres in den Mittelpunkt: die Fußball-Europameisterschaft.

DFL berät Montag, Uefa Dienstag

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Am Dienstag will die Uefa in einer Krisensitzung darüber beraten, ob das Turnier abgesagt werden muss. Erstmals soll die EM, die am 12. Juni ausgerechnet in Rom eröffnet werden würde, in zwölf EU-Ländern ausgetragen werden. Sie soll die Botschaft von der kontinentalen Einheit in die Welt tragen. So bitter eine Absage wäre: Angesichts der fast stündlich eintreffenden Nachrichten von neuen Infektionsfällen ist diese Entscheidung überfällig. Eine Fußballtournee quer durch ein Infektionsgeschehen: Aus Sicht der Virologen wäre das unverantwortlich. Und auch das mag man jetzt schon sagen: Ein unbeschwertes Fußballfest wird es in diesem Jahr nicht geben können.

Misst man also den Fußball an seiner Relevanz, an seinen großen Werten, dann ist genau jetzt der Moment gekommen, an dem er seine gesellschaftliche Bedeutung unter Beweis stellen kann. Am Montag beraten die Deutsche Fußball-Liga und die in ihr vereinten Klubs, wie es weitergehen soll. Auch ein Abbruch der Saison kommt infrage. Geisterspiele oder Geisterderbys bis zum Saisonschluss: Niemand kann das ernsthaft noch länger wollen. Ohnehin ist diese Maßnahme längst ad absurdum geführt, wenn sich die Fans vor Stadien versammeln, wo es doch darum geht, größere Menschenansammlungen zu vermeiden.

Solidarität zeigen mit denen, die besonders gefährdet sind

Den Ball nun anzuhalten, dem Sport eine Zwangspause zu verordnen, ist weder Übertreibung noch Panikmache. Eine Unterbrechung würde dem Sport die Möglichkeit geben, über Alternativen nachzudenken und einen Weg zu finden, um die Bundesliga womöglich zu einem späteren Zeitpunkt zu Ende zu spielen.

Eine Unterbrechung aber verschafft uns vor allem Zeit, um die Ausbreitung des Virus einzudämmen und die Gesundheitssysteme der betroffenen Länder zu stabilisieren. Denn einzig darum geht es. Indem wir den Sport wieder zur Nebensache machen, zeigen wir in den Tagen der Krise Solidarität mit jenen, die besonders gefährdet sind: Alte und Kranke.

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