Belfast. Die deutsche Nationalmannschaft hat in Nordirland 2:0 gewonnen. Das ist beruhigend. Aber mit Blickrichtung EM noch lange kein Grund zur Euphorie.

Am internationalen Flughafen von Belfast war schon am frühen Dienstagmorgen jede Menge los. Die zahlreichen Deutschlands-Fans konnten am Vormittag nach dem 2:0 ihrer Mannschaft gegen Nordirland alleine fünf Maschinen in das nur gut eine Flugstunde entfernte London nehmen, um von Englands Hauptstadt aus den finalen Flug nach Hause anzutreten.

Auch interessant

Die Mehrheit der Anhänger hätte sicher nichts dagegen, wenn sie auch im kommenden Sommer noch einmal nach London reisen müsste – dann gerne für sehr viel länger als nur für ein paar Stunden. Bei der Europameisterschaft 2020, die in elf europäischen Städten (und mit Aserbaidschans Hauptstadt Baku in einer asiatischen Stadt) ausgetragen wird, ist das Londoner Wembley-Stadion Austragungsort der Halbfinalpartien und des Endspiels. „Von Hamburg über München nach London“, stand deswegen auch auf einem Banner, das Fans vor dem ersten DFB-Spiel dieser Länderspielwoche gegen die Niederlande quer über die Nordtribüne im Hamburger Volksparkstadion gespannt hatten.

Die gute Nachricht: 180 Minuten und zwei Qualispiele später ist Deutschland als Tabellenführer der Gruppe C dem Jubiläumsturnier zum 60. Geburtstag des Wettbewerbs näher denn je. Die schlechte Nachricht: Durch das 2:4 gegen die Niederlande und den 2:0-Sieg in Nordirland scheint London trotz der räumlichen Nähe am Dienstag weiter denn je entfernt. Deutschland, und das ist das Fazit dieser Länderspielwoche, ist weiter weg von Europas Top-Nationen, als man es noch vor ein paar Monaten gehofft (und gedacht) hatte.

Bundestrainer Löw mahnt nach der Partie

„Der Weg in die Weltspitze wird kein leichtes Unterfangen“, sagte Bundestrainer Joachim Löw im Bauch des Windsor Parks und erhob sogar für ihn untypisch seine Stimme: „Ganz so einfach, wie viele denken, ist es eben doch nicht.“

Auch interessant

Zwar hatte die deutsche Mannschaft gerade 2:0 beim bisherigen Tabellenführer gewonnen. Doch auf dem Weg zu diesem Pflichtsieg ist das DFB-Team sehr viel mehr schuldig geblieben, als es sich nach dem 2:4 bei der geplanten Wiedergutmachung vorgenommen hatte.

Besonders in der ersten Halbzeit sah man kaum einen Unterschied. „Unsere Raumaufteilung stimmte im ersten Durchgang nicht“, gab dann auch Bundestrainer Löw unumwunden zu. Er habe in der Pause seine Offensivspieler anmahnen müssen, „die offensiven Positionen“ nicht zu verlassen und „zwischen den Linien“ zu bleiben.

Klostermann flankt, Halstenberg trifft

Ausgerechnet die Leipziger Außenverteidiger Lukas Klostermann und Marcel Halstenberg schienen besonders gut zugehört zu haben. So vollende Halstenberg eine eher misslungene Flanke Klostermanns derart spektakulär per Volley, dass man für den Moment die sehr ausbaufähigen 48 Minuten zuvor vergessen konnte. Weil aber Löws Mannschaft nach 15 sehr starken Minuten auch Mitte der zweiten Halbzeit wieder in den Erste-Halbzeit-Trott verfiel, blieb nach dem Schlusspfiff (und dem erlösenden Gnabry-Treffer zum 2:0) nur Löws Erkenntnis, dass „wir in einer Phase des Lernens“ sind.

Auch interessant

Das gilt für das Orchester auf dem Platz, aber mindestens genauso für den Maestro am Spielfeldrand. Ein Dreivierteljahr vor der EM muss Löw nicht nur die passenden Spieler suchen und finden. Er muss sich auch für eine Spielidee entscheiden. Kurzum: Er muss nach vielen Jahren, in denen es oft reichte, die Besten der Besten bei Laune zu halten, wieder ein echter Fußballlehrer sein.

Nächstes Spiel: In Dortmund gegen Argentinien

Das Schöne am Fußball: Nach dem Spiel ist bekanntlich vor dem Spiel. Bereits in vier Wochen stehen Löw und seiner Rasselbande die nächsten Bewährungsproben bevor. Zunächst darf man sich auf die Neuauflage vom WM-Finale 2014 gegen Argentinien in Dortmund freuen. Dann müssen die Pflichtaufgaben in Estland, gegen Weißrussland und erneut gegen Nordirland bewältigt werden. Erst danach, so sagte es Löw auch am späten Montagabend, könne man abschätzen, wie weit man wirklich sei. Oder in anderen Worten: wie weit London wirklich entfernt ist.