Essen. Schon vor der Erfindung des Internets, mussten sich Menschen im Rampenlicht beleidigen lassen: Bislang hat der Hass nicht gesiegt. Eine Kolumne.
Wie genau sich Sepp Herberger im ersten Moment gefühlt hat, als ihn während der Weltmeisterschaft 1954 kübelweise Hass-Briefe erreichten, ist nicht überliefert. Aber in dem frisch erschienenen Buch „Post vom Chef – Herbergers Briefe an die Weltmeister“ von Herausgeber Manuel Neukirchner sind Auszüge aus den Schreiben an den damaligen Bundestrainer zu lesen. Und sie sind, so viel lässt sich festhalten, ebenso abscheulich wie jene Hass-Kommentare, die heute in den sozialen Netzwerken zu finden sind.
Die Volksseele kochte
Deutschland war zuvor im Vorrundenspiel gegen Ungarn untergegangen, hatte mit 3:8 verloren. Nun kochte die Volksseele, weil Herberger in dieser Partie seine Stammkräfte für das voraussichtliche Entscheidungsspiel gegen die Türkei schonte. Der Trainer bekam die aufgestaute Wut in erschreckenden Briefen mitgeteilt, die sogar Morddrohungen enthielten.
„Wenn der Trainer einer Nationalmannschaft nicht weiß, was er dem Sportpublikum vorzusetzen hat, dann soll er sich besser einen Strick kaufen und sich am nächsten Baum aufhängen“, musste Herberger etwa lesen, nur weil er sich für eine Aufstellung entschieden hatte, die nicht jedem passte.
Der Hass war offensichtlich schon immer da
Dadurch fühlt man sich automatisch an die unreflektierte Feindseligkeit erinnert, die sich auch heute kübelweise im Internet ausschüttet. Gegen Politiker. Aktivisten. Sportler. Hass war offensichtlich schon immer da. Durch die sozialen Medien wird er derzeit nur sichtbarer, steckt er möglicherweise Nachahmer an, kann er so Debatten beeinflussen, verändern. Was lässt sich tun?
Hass-Briefe als Motivationshilfe
Sepp Herberger hat die Briefe seiner Mannschaft vor dem Türkei-Spiel in der Kabine zur Motivation vorgelesen – anschließend gewann seine Elf diese Partie, später sogar die Weltmeisterschaft. Solch eine Stärke entwickelt aber nicht jeder. Andere müssen gegen den Hass unterstützt werden. Sie müssen wissen, dass sie nicht alleine sind.
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Zudem wird natürlich kein abscheulicher Kommentar im Internet erträglicher, nur weil früher auch schon gepestet wurde. Aber vielleicht gelingt es, sich von dem manchmal riesig erscheinenden Hass nicht erdrücken zu lassen, sich auch die positiven Entwicklungen zu verdeutlichen. Deutschland hat sich seit 1954 weiter entwickelt, hat die Nazizeit aufgearbeitet, ist liberaler, offener geworden. Der Hass hat nicht gesiegt – und wird auch nicht siegen!