Dinslaken. Der Klub Viktoria Wehofen aus Duisburg fürchtete um seine Existenz. Er holte neue Spieler aus der Flüchtlingsunterkunft. Jetzt lebt er wieder.
„Wollen Sie auch eine?“ Uwe Plincner hält die Schachtel mit Selbstgestopften hin. Der 57-Jährige zündet sich eine Zigarette an, der Rauch steigt an die Decke. Geruchlich macht das kaum einen Unterschied. Der Geschäftsführer von Viktoria Wehofen ist nicht der Einzige, der im Vereinsheim an der Grenze zwischen Dinslaken und Duisburg raucht. „Wir haben uns das hier alles selbst aufgebaut. Über all die Jahre“, sagt Plincner und schwenkt den Arm, an dessen Ende die Zigarette brennt, über die Bilder mit den stolzen Männern in kurzen Hosen, über die Pokale aus früheren Zeiten, über die hölzerne Theke, auf der Aschenbecher stehen, hinaus zum roten Rasen. „Aber ohne unsere Integrationsmannschaft wäre unser Verein gestorben.“
Und Uwe Plincner erzählt.
In Turnhallen auf Feldbetten
Als vor etwa vier Jahren die Menschen in Turnhallen auf Feldbetten auf den Morgen warteten und Deutschland darüber rätselte, ob dieser Zustand das Land bedroht, da erging es auch dem Duisburger Fußballklub schlecht. Freilich aus ganz anderen Gründen. Nach Jahrzehnten der Auf- und Abstiege, des Erfolgs und der Niederlagen war der Verein endgültig unten angekommen, was sich aber nicht an der Zugehörigkeit zu einer Spielklasse ablesen ließ. Dem SuS Viktoria Wehofen 1920 gingen die Mitglieder verloren. Im kommenden Jahr feiert er sein hundertjähriges Bestehen – damals schien es so, als würde er das nicht mehr erleben.
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In ihrem unglückseligen Schicksal fanden sich: ein Verein am Abgrund und Menschen am Abgrund, die Fußball spielen wollen. „Eine Win-Win-Situation“, sagt Uwe Plincner heute. Aus der Flüchtlingsunterkunft Walsum erreichte ihn vor zweieinhalb Jahren die Nachricht, dass dort die Menschen einen Verein suchen, aber keinen finden. „Ich bin mit dem Bus hingefahren, dann standen da fünfzig.“ Plincner macht eine Pause, zieht an der Zigarette. „Fünfzig!“ Plincner fuhr an diesem Tag zweimal.
Fünfzig sind es da draußen an diesem Tag nicht, die von Trainer Ralf Plincner und seinen Assistenten trainiert werden. Aber immerhin eine komplette Fußballmannschaft. Der Regen hat dicke Pfützen auf der Asche hinterlassen. Man hört das Platschen der Füße, der syrischen, der iranischen, der deutschen. Aber hier sind es bloß Füße in Fußballschuhen.
Ralf Plincner ist der Macher
Ralf Plincner ist der Macher des Projektes. Er ist der ältere Bruder von Uwe und hat einst selbst für Wehofen gespielt. In den 80ern war er Rechtsaußen, „da kamen 1000 Zuschauer zum Spiel“. Heute ist der Mann mit dem gutmütigen Gesicht Trainer, ausgestattet mit der höchsten Lizenz für die Amateurklasse und an diesem Abend mit einem Anorak, der so bunt ist wie seine Mannschaft. „Ob ein Mensch gelb oder blau ist, ist doch egal. Es zählt das Gute im Menschen“, sagt der 64-Jährige. Und um das herauszufinden, müsse man den Leuten eben nahe kommen. „Vorurteile sind nur dann vorhanden, wenn man sich nicht kennt.“
Spielerpass-Suche im Irak
Er musste nicht einen Augenblick von dem Projekt „am Ball bleiben“ überzeugt werden. Erlebt hat er so einiges, seitdem der Ball rollt: Wie schwer es ist, einen Job als Geflüchteter zu finden, oder einen Asylantrag zu stellen, oder einen Spielerpass zu bekommen. „Die fragen dann erst im Irak nach, ob der Spieler schon mal dort gespielt hat. Als ob die im Irak gerade nichts anderes zu tun hätten“, sagt Ralf Plincner. „Da vergehen drei Monate.“
Manche in Duisburg würden sich wünschen, dass sie nie eine Spielberechtigung bekommen. Bei der Bundestagswahl 2017 hatte auch hier die Alternative für Deutschland großen Erfolg. In Neumühl etwa wurde die AfD mit 29 Prozent stärkste Partei vor der SPD. In Obermarxloh kam sie auf mehr als 30 Prozent. Wie in vielen Städten Deutschlands machte sich auf Duisburger Stadtgebiet die Angst vor dem Unbekannten breit: Schaffen wir das wirklich?
Gleichzeitig hat die Stadt einen hohen Migrationsanteil. 2017 lebten 108.840 Ausländer in Duisburg, rund ein Drittel kommt aus der Türkei. Auch sie fragten sich: Schaffen wir das?
Mit Blick auf Viktoria Wehofen könnte man sagen: Ja, natürlich. Der Verein kümmert sich um das Fußballtraining und hilft bei der Arbeits- und Wohnungssuche, bei Asylanträgen und der Sprache. „Intensivbetreuung“, nennt Ralf Plincner das und lacht. Das Engagement beeindruckt auch die Egidius-Braun-Stiftung des DFB. Die Flüchtlingsinitiative „2.0 für ein Willkommen“ hat den Verein jüngst mit 6450 Euro unterstützt.
Kampf gegen Ressentiments
Ressentiments spüren Trainer und Spieler trotzdem. Viktoria Wehofen hat nicht zuletzt deshalb Zulauf, weil andere Klubs die neuen Mitbürger nicht bei sich haben wollen. Auf dem Platz zeigt sich die Ablehnung ganz deutlich. „Schiri, ich muss morgen noch arbeiten“, sei so ein typischer Satz. Auch würden die Mitspieler mal härter gefoult als üblich, sagt Sale, ein 27 Jahre alter Iraker. Warum, weiß er nicht.
Sale ist seit der ersten Stunde dabei. Verständigungsprobleme gebe es untereinander nicht. „Wir verstehen uns“, sagt Sale. Ohne eine gemeinsame Sprache. Sale hat früher in der vierten Liga im Irak gespielt. Heute spielt er für Viktoria Wehofen in der Kreisliga B. Heute ist sein Spitzname „Salinho“.