Barcelona. Die großen spanischen Fußballvereine Real Madrid und FC Barcelona stecken in der Krise. Beim FC Sevilla reifen erste Titelträume.

Seit über vier Spielen oder 409 Minuten hat Real Madrid nicht mehr ins Tor getroffen – das gab es zuletzt 1985. Nicht mal die Hälfte seiner bisher elf Pflichtspiele hat es gewonnen und vier davon verloren – da ist man in der Saison 2005/2006, während der sogar Präsident Florentino Pérez zurücktrat. Der ist längst wieder da, aber das Krisenszenario scheint sich zu gleichen angesichts einer Mannschaft, in der manche Spieler zu alt und satt erscheinen, andere zu jung und grün, und deren neuer Trainer Julen Lopetegui mit seiner Aufgabe überfordert wirkt. Wo soll da Hoffnung herkommen? Vielleicht durch einen Blick auf den neuen Tabellenführer.

Gerade mal drei Wochen ist es her, da stand auch beim Sevilla Fútbol Club der neue Trainer schon schwer in der Kritik. Die Mannschaft hatte auch im dritten Ligaspiel nacheinander kein Tor geschossen und lag in der Tabelle auf Platz zwölf. Ein frustriertes Publikum nahm außerdem die Vereinsführung ins Visier und forderte den Rücktritt des Präsidenten. „Die Leute haben alles Recht zu pfeifen“, sagte der Trainer.

Wiederholt sich in Sevilla Geschichte?

Am Sonntag kamen dieselben Leute bei der Partie gegen Celta Vigo (2:1) aus dem Jubeln gar nicht mehr raus. Ihr Verein führt nach vier Siegen am Stück die spanische Liga an. „Die Saison ist lang, warten wir mal ab“, sagt der neue Trainer, Pablo Machín. Zuletzt lag Sevilla zu diesem Zeitpunkt in der Saison 1945/46 an der Spitze. Es war das Jahr der bis heute einzigen Meisterschaft der Andalusier. Kann sich die Geschichte wiederholen?

Unmöglich, so lange es Real Madrid und den FC Barcelona gibt, hätte man üblicherweise dagegen gehalten. "Warum nicht?", ist man jetzt geneigt zu sagen. Die Dinge in der Primera División sind im Fluss. Sechs Mannschaften liegen innerhalb von zwei Punkten vorn. Real (ein Punkt aus den letzten drei Spielen) und Barça (drei aus den letzten vier) haben zusammen seit sieben Partien nicht gewonnen.

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Außenseiterfußball rockt, das war schon bei der WM so. Kompakt stehen und in ausgesuchten Phasen der Partie durch schnelles Umschalten mutig das Momentum nutzen – dieses Underdog-Handbuch brachte etwa Deportivo Alavés am Samstag beim 1:0 gegen Madrid buchstabengetreu auf den Platz. Technisch und taktisch ist in Spanien fast jeder Erstligist auf dem entsprechenden Niveau, dazu lassen weitere Faktoren hoffen, dass es sich bei der neuen Ausgeglichenheit nicht nur um die Laune eines Spätsommers handeln könnte. Gestiegene Fernsehgelder und die Einführung der Zentralvermarktung ermöglichen der Mittel- und Unterklasse mittlerweile bessere Budgets. Derweil Barça und Madrid keine Dampfwalzen mehr sind.

Die Katalanen, siebenfacher Meister der letzten zehn Jahre, haben die Champions League zur Priorität ausgerufen. Den Anspruch untermauerten sie unter der Woche mit einem rauschenden Sieg bei Tottenham (4:2), der Kater folgte in Gestalt müder Beine am Sonntagabend beim 1:1 in Valencia. Besonders Veteranen wie der in grotesker Form vom Fehlerteufel besessene Abwehrchef Gerard Piqué und der klobige Mittelstürmer Luis Suárez scheinen den Dreitagesrhythmus nicht mehr wegzustecken. Und nicht mal Messi, Torschütze auch wieder in Valencia, kann jedes Spiel allein gewinnen.

Zumindest ist er noch da. In Madrid hingegen übertrifft die Post-Ronaldo-Depression auch die apokalyptischsten Vorhersagen. „El Ausente“ – „den Abwesenden“ – nennt ihn der Leitartikler der klubnahen Sportzeitung „As“ bloß noch, und illustriert damit nicht nur die Nostalgie, sondern ironisiert auch die Kommunikationsstrategie des Vereins nach dem Verlust des epochalen Goalgetters und dauerehrgeizigen Leaders. Die hatte in der Tat etwas von den klassischen Worten eines Verkehrspolizisten zu Passanten nach einer Massenkarambolage: „Gehen Sie weiter, es ist nichts passiert.“

Bale, Benzema und Asensio fallen nicht auf

Aber das ist es dann halt doch. „Das Talent des Torjägers ist so speziell wie das des Torwarts – und aktuell hat es bei Madrid keiner“, sagt Ex-Klubmanager Jorge Valdano. Mittlerweile ist die Mannschaft so derangiert, dass sie bei Alavés nicht mal mehr nennenswerte Chancen herausspielte. Als hauptschuldig gilt dabei zunehmend die Vereinsführung, die im Sommer lieber das Geld für einen 575 Millionen Euro teuren Umbau des Estadio Santiago Bernabéu hortete als halbwegs adäquaten Ersatz für 450 Tore in 438 Spielen zu beschaffen. Die Sturmreihe aus den Routiniers Bale und Benzema sowie Talent Asensio fällt besonders in Krisenzeiten nur dadurch auf, dass sie nicht auffällt. Ihr Phlegma ist notorisch. Bale ließ sich zuletzt gar zweimal freiwillig auswechseln, ohne dass die Klubärzte irgendeine Blessur feststellten.

Weil der neue Trainer Julen Lopetegui schon jetzt alle klassischen Ausreden aufgebraucht hat – am Wochenende beklagte er ausufernd Verletzungssorgen –, gilt sein Kredit allenfalls noch bis zum Clásico am übernächsten Spieltag in Barcelona. Dort muss nach der Länderspielpause als erstes ein Sevilla hin, das Real vor zwei Wochen mit 3:0 aus dem Stadion schoss. Es war der Abend, der beim neuen Tabellenführer alles zum Guten wandte und bei den Madrilenen alles zum Schlechten.