Mönchengladbach. . Der frühere BVB-Profi Otto Addo arbeitet in Gladbach als Übergangstrainer. Im Interview spricht er über seinen Job, Emre Mor - und Rassismus.

Otto Addo erscheint im Trainingsanzug von Borussia Mönchengladbach zum Interview, schließlich arbeitet er bei den Fohlen als Talente-Trainer. Fester Handschlag, dann streckt Addo erstmal seine Beine durch. Drei Kreuzbandrisse erschweren den Alltag. Dabei schaffte der Deutsch-Ghanaer vor fast genau 15 Jahren etwas, was bislang keinem anderen Profi von Borussia Dortmund gelungen ist. Am 24. September 2003 erzielte Addo in der Champions League gegen Austria Wien (Endstand 2:1) das 1:0, obwohl sein rechtes Kreuzband gerissen war. Körpertäuschung, Schuss, Tor: BVB-Legende.

Herr Addo, wie geht es dem Knie?

Otto Addo: Na ja, mein Knie ist halt kaputt. Wenn ich manchmal mittrainiere, merke ich das schon.

Dafür können Sie es nun verraten: Wie schießt man ein Tor mit einem Kreuzbandriss?

Addo: Das war natürlich auch Glück. Ich habe einfach die Schmerzen verdrängt. Da es mein dritter Kreuzbandriss war, wollte ich das in dem Moment einfach nicht wahrhaben. Dann kam der Ball zu mir, und ich habe ihn rein gemacht.

Jetzt sind sie eine BVB-Legende.

Addo: Ich hatte da zwar viel Unglück, aber dann eben auch noch Glück. So kann ich zumindest sagen, dass ich ein Tor geschossen habe, an das sich viele erinnern können. Das freut mich natürlich.

Bei Gladbach sind Sie nun der erste so genannte Übergangstrainer der Bundesliga. Was machen Sie da?

Addo: Ich gehöre als Co-Trainer zum Trainerstab und bin dabei der Leiter des Übergangsbereiches. Ich versuche Spieler, die kaum Bundesliga-Erfahrung haben, heranzuführen. Und ich bin auch im privaten Bereich Ansprechpartner, gebe Tipps, helfe im Alltag Denn der Trainer kann sich natürlich nicht um alle Profis kümmern.

Wie ist diese Rolle entstanden?

Addo: Ich bin darauf gekommen, als ich Co-Trainer beim FC Nordsjälland in Dänemark war. Da gab es damals zum Beispiel Emre Mor, der kurz vor einem Rauswurf stand. Ich habe versucht, einen engeren Draht zu ihm zu bekommen. Ich war dreimal die Woche mit ihm essen, war bei ihm zu Hause, habe seine Eltern kennengelernt. Ich habe ihm einfach zugehört. Dadurch hatte ich einen engen Draht und konnte ihn im Training härter anpacken, was geholfen hat. So wurde er für die Rekordsumme von rund neun Millionen Euro an Borussia Dortmund verkauft.

Beim BVB haben Sie dann scheinbar gefehlt.

Addo: Das kann gut sein. Emre Mor ist ein Spieler, der eine Bezugsperson braucht. Es muss einen geben, der auch mal zuhört. Die Talente sind alle noch jung, sie werden gefühlt sogar immer jünger. Sie sind in ihrer Entwicklung noch lange nicht fertig.

Woher kommt Ihr Händchen für junge Spieler?

Addo: Ich habe keine psychologische Ausbildung. Aber ich wollte schon als älterer Spieler jungen Spielern helfen, ohne persönlichen Nutzen davon zu ziehen. Außerdem hilft mir meine Erfahrung. Ich war oft verletzt. Ich weiß, wie es sich anfühlt, wenn man in der Jugend immer der Beste war und dann bei den Profis nur noch die Nummer 22. Wenn man das selbst erlebt hat, kann man auch glaubhafter eigene Dinge rüberbringen.

Hätte es Ihnen als Jugendspieler geholfen, wenn es einen Übergangstrainer gegeben hätte?

Addo: Ja, es hätte mir geholfen. Weil es immer Bereiche gibt, die man im Nachhinein vernachlässigt hat. Ich habe gegessen, was ich wollte. Vielleicht war das ein Grund, warum ich mich verletzt habe. Es geht in meinem Job darum, dass ich die Spieler dazu kriege, sich selbst zu trainieren. Eigentlich brauchen sie mich nicht, wenn sie alles, was wir von ihnen verlangen, selbstständig tun. Wenn sie sich im Urlaub richtig verhalten. Wenn sie auf die Ernährung achten. Wenn ich nur einen Spieler erreiche, habe ich schon was geschafft.

Hat in zehn Jahren jeder Bundesliga-Klub einen Übergangstrainer?

Addo: Ja.

Anderes Thema: Deutschland diskutiert über Rassismus. Haben Sie sich manchmal nicht wohlgefühlt?

Addo: Ja, ich habe als Jugendlicher zu viele Situationen erlebt, in denen ich mich, obwohl ich hier geboren und aufgewachsen bin, nicht als Deutscher gefühlt habe. Ich wurde von anderen Leuten beleidigt, wurde von Skinheads verfolgt.

Das klingt schrecklich.

Addo: Für mich war es damals ganz normal, wenn ich zum Training gegangen bin, dass mich Skinhead-Gruppen verfolgt haben. Und es war auch normal, dass ich mit meiner Mutter darüber nicht sprechen konnte, weil sie mich sonst nicht zum Fußball gelassen hätte. Ich musste also meinen eigenen Weg finden, um damit klarzukommen.

Was hat das mit Ihnen gemacht?

Addo: Für mich war es dadurch früh klar, dass ich eher für Ghana spielen werde als für Deutschland. Das war im Nachhinein kein Fehler, weil ich oft in Ghana war. Ich habe viele Familienangehörige getroffen und konnte mich noch mehr mit der Kultur anfreunden, das war ein totaler Gewinn für mich. Aber ich finde es auch sehr gut, dass sich jemand wie Gerald Asamoah, damals einer meiner besten Freunde, für Deutschland entschieden hat. Die Gesellschaft hat so gemerkt, dass jemand, der dunkelhäutig ist, auch deutsch sein kann.

Ist Deutschland weitergekommen?

Addo: Ja, und das vergessen viele. Es ist schlimm, dass bestimmte Dinge noch passieren. Aber als ich noch gespielt habe, da war es normal, dass immer Affengeräusche aus dem Publikum kamen. Wenn ich an die Seite gegangen bin, flogen Bananen. Das war normal für mich. Da hat der DFB damals nichts gesagt. Doch die Menschen haben sich weiterentwickelt. Und ich bin sicher, dass es sich in 30 Jahren noch mal bessert, auch wenn es immer Idioten geben wird. Die Kinder wachsen jetzt anders auf.

Abschließend: Wie glücklich ist der Mensch Otto Addo mit 43?

Addo: Wissen Sie, wenn ich in meiner Kindheit sechs Wochen Ferien in Deutschland hatte, bin ich mit meiner Schwester und meiner Mutter nach Ghana gereist. Da hatte ich Freunde, die, wenn deren Mutter auf der Straße nichts verkauft hatte, auch nichts zu essen hatten. Die wohnten zu sechst in einem Zimmer, das in Deutschland ein Badezimmer wäre. Trotzdem waren sie glücklich. Weil ich das erlebt habe, weiß ich, was ich habe. Ich kann gar nicht unglücklich sein.