Dortmund. Haben Bundesliga und Nachwuchs ein Verteidiger-Problem? Max Eberl sagt ja – Stefan Kuntz sagt nein. Besuch beim U19-Turnier in Dortmund

Die wichtigste Nachricht vorweg: Sie existieren noch, die deutschen Nachwuchsverteidiger. Jedenfalls spielten die U19-Mannschaften einiger Bundesligaklubs und internationaler Topvereine gestern zum Auftakt des Ruhr-Cups nicht nur mit flinken Tiki-Taka-Fußballern, sondern auch mit groß gewachsenen Abwehrrecken. Diese hatten im Dortmunder Stadion Rote Erde kein Problem damit, den Gegenspieler mal mit rüden Mitteln zu stoppen. Was in Zeiten, in denen die Fußball-Welt in Deutschland wieder aufgeregt über technisch-taktische Ausbildung und charakterliche Schulung der Talente diskutiert, keine Selbstverständlichkeit zu sein scheint.

Fußballnachwuchs: Mehr Ramelow statt Messi

Denn seit dem blamablen WM-Aus der Nationalmannschaft mehren sich die Stimmen, denen die Aggressivität im deutschen Fußball fehlt. Es ist schon erstaunlich: Irgendwie scheinen sich viele Beobachter wieder nach mehr Carsten Ramelows als nach Lionel Messis zu sehnen. Zuletzt meinte Borussia Mönchengladbachs Sportdirektor Max Eberl: „Wir haben in Deutschland nicht mehr die Verteidiger, die wir brauchen.“

Und tatsächlich musste Gladbach mit Michael Lang einen Außenverteidiger aus der Schweiz importieren. Dortmunds neue Hoffnung für defensive Stabilität ist der aus Mainz geholte Franzose Abdou Diallo. Und bei Schalke bildet neuerdings der Senegalese Salif Sané (aus Hannover gekommen) ein Duo mit dem in der vergangenen Saison überragenden Naldo. Hat das Land der Liberos und Vorstopper also ein Defensivproblem?

Tah, Anton und Kehrer machen Hoffnung

Jein, meint Stefan Kuntz ganz klar. Der U21-Bundestrainer verweist im Gespräch mit dieser Redaktion auf Spieler wie Jonathan Tah (Bayer Leverkusen), Waldemar Anton (Hannover 96) oder auch Thilo Kehrer (FC Schalke). „Bei den Innenverteidigern sind wir gut aufgestellt“, sagt Kuntz. „Bei den Außenverteidigern wird es allerdings etwas enger.“

Im Revier verfolgt man die Diskussion entspannt. Mathias Schober listet jene Verteidiger auf, die Schalke 04 hervorgebracht habe. „Nach dem WM-Aus wird etwas übertrieben“, sagt der Sportliche Leiter der Knappenschmiede. Auch beim BVB erkennt man das Problem nicht, wie Nachwuchskoordinator Lars Ricken klarstellt.

Wer sich beim DFB umhört, erfährt allerdings, dass die Ausbildung derzeit Sorgenfalten produziert. Als 2002 die Nachwuchsleistungszentren (NLZ) eingeführt wurden, wollte der Verband nach Jahren des Rumpelfußballs endlich auch kreative Top-Spieler hervorbringen. Es entwickelte sich ein Erfolgsmodell, zahlreiche Talente rauschten plötzlich über die Rasenplätze. Der Höhepunkt folgte 2014, als eine Gruppe Hochbegabter als A-Nationalmannschaft den WM-Pokal in Brasilien gewann.

Doch mittlerweile hat sich die Talent-Dichte ausgedünnt. Die U19 qualifizierte sich nicht mehr für die Europameisterschaft, auch in anderen Jahrgängen fehlen die vielversprechenden Nachwuchskünstler. Natürlich haben andere Länder aufgeholt. Frankreich etwa, England ebenso. Trotzdem zerbrechen sie sich beim DFB derzeit den Kopf. Es wird auch diskutiert, ob die Spieler zu sehr verhätschelt werden. Das Resultat: noch offen.

Eberl hat für das Gladbacher NLZ in jedem Fall die Marschroute vorgegeben, wieder verstärkt auf Abwehr-Typen zu setzen. Denn: „Wir haben großartige Fußballer entwickelt, aber keine Verteidiger.“ Auch Schober steht Optimierungen offen gegenüber. Mit dem DFB sei man im Austausch, „allerdings kann der Verband nicht vorgeben, wie wir unsere Talente ausbilden“.

Ruthenbeck sieht Defizite

Und im Stadion Rote Erde? Dort steht Stefan Ruthenbeck, der den Bundesliga-Abstieg des 1. FC Köln nicht verhindern konnte, wieder als Kölner U19-Trainer an der Seitenlinie. „Ich sehe in der Verteidigung auch ein Defizit“, erklärt er. Dies sei der Ausbildung geschuldet. „Früher hat man Zweikämpfe trainiert, jetzt versuchen wir oft für Überzahlsituationen zu sorgen“, erklärt Ruthenbeck. Er verzichtet deswegen auf die taktische Trickkiste. Seine Abwehrspieler sollen lernen, sich selbst zu helfen.

Das klappte gestern in der ersten Partie gegen Manchester United (1:0) hervorragend. Im zweiten Spiel gegen Rapid Wien (1:2) wurde Köln jedoch ausgekontert. Aber sie lernen ja noch.