Essen. Am Samstag wurde Fußball-Weltmeister Christoph Kramer zum dritten Mal in der laufenden Saison am Kopf verletzt. Forscher warnen vor den Risiken.
Christoph Kramer ist hart im Nehmen. Aber Kramer, der Kämpfer, stand trotz Kopfverletzung beim 2:1 gegen Bayern München in der Kabine und feierte den Sieg.
Man könnte auch sagen, Gladbachs Fußballprofi ist leichtsinnig. Weil der Weltmeister mit seiner Gesundheit spielt. 2014 zog er sich im WM-Finale eine Gehirnerschütterung zu. Die Kopfverletzung am Samstag war die dritte in dieser Saison.
Im Football-Land USA ist über die unsichtbare Gefahr auf dem Sportplatz längst eine Debatte ausgebrochen. Und in Deutschland? Nur am Rande. Ein Fehler, findet Dr. Ingo Helmich von der Deutschen Sporthochschule Köln: „Eishockeyspieler und Footballer sind genauso betroffen wie Fußballer.“
Auch interessant
Gladbachs Trainer Dieter Hecking regte nach dem Abpfiff an, man müsse überlegen, „wie man Spieler besser schützen kann“. In den USA ist man einen Schritt weiter. Auch, weil immer mehr tragische Fälle von geschädigten Spielern publik werden. Etwa der von Aaron Hernandez. Der frühere Football-Star spielte drei Jahre für die New England Patriots in der NFL. 2015 wurde er wegen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt. Im April 2017 nahm sich Hernandez, 27 Jahre alt, in seiner Zelle das Leben. Ärzte stellten eine Chronische traumatische Enzephalopathie (CTE) dritten Grades fest, auch Boxer-Syndrom genannt. Folgen können Gedächtnisverlust, Verwirrung, Depressionen und Demenz sein. Erst nach dem Tod lässt sich CTE mit Sicherheit feststellen.
Ann McKee leitet das CTE-Center an der Boston University. Sie forscht seit Jahren auf dem Gebiet und stellte im Sommer 2017 eine aufsehen erregende Studie vor. In 110 von 111 Gehirnen verstorbener Footballprofis stellte das Forscherteam Schäden fest. Mittlerweile hat die NFL eingeräumt, dass ein Zusammenhang zwischen Football und der degenerativen neurologischen Erkrankung besteht.
Das Risiko wird der Öffentlichkeit selten bewusst
In Deutschland befindet sich die Forschung noch am Anfang. Einer der führenden Wissenschaftler auf diesem Gebiet ist Dr. Ingo Helmich von der Deutschen Sporthochschule Köln. „Footballspieler spielen nicht umsonst mit Helm“, sagt der Wissenschaftler. Erschütterungen würden aber auch in anderen Sportarten vorkommen. „Im Leistungssport wissen wir alle, dass ein Fußballer am Knie einen Schaden davontragen kann. Beim Kopf, da weigern wir uns noch einzusehen, dass ein Risiko besteht.“
Ein Risiko, das der Öffentlichkeit selten bewusst wird. So wie im Fall des englischen Fußballspielers Jeff Astle. Für West Bromwich Albion absolvierte der Nationalspieler in den 1960ern und -70ern über 360 Spiele. Astle war berühmt für seine Kopfbälle. Als er mit nur 59 Jahren verstarb, untersuchen Rechtsmediziner sein Gehirn. Ergebnis: wiederkehrende Hirntraumata waren verantwortlich für seinen Tod.
Andere bekannte Fälle in diesem Zusammenhang sind Philippe Montandon und Kevin Doyle. Montandon, früher Kapitän des Schweizer Erstligisten St. Gallen, erlitt in seiner Karriere acht Gehirnerschütterungen. 2015 ging es nicht mehr weiter, er hörte mit dem Profifußball auf. Genauso wie der irische Nationalspieler Kevin Doyle, der vor zwei Monaten wegen einer Gehirnerschütterung seine Karriere beendete. Offiziell habe er nie eine Gehirnerschütterung gehabt, sagte Doyle, obwohl ich einige Zusammenstöße erlebt habe. „Wenn du ein Speiler bist, deine Muskeln sich gut anfühlen, deine Beine sich gut anfühlen, dann ist alles andere egal“, sagte Doyle. Es sei gut, dass nun mehr Bewusstsein für Gehirnerschütterungen gebe.
"Eigentlich habe ich ja gar nix"
Montandon und Doyle waren Kämpfer. So wie Christoph Kramer. Bedenklich, findet Wissenschaftler Helmich. „Das Problem generell ist: Wie machen die Verantwortlichen und Spieler fest, dass der Spieler wieder spielen kann?“ In den USA müssten Collegespieler bestimmte Protokolle durchführen, dort seien die Menschen durch den Football-Sport „ganz anders für das Thema sensibilisiert. Bei uns besteht noch keine Sensibilität dafür. Wir sagen nach einer Gehirnerschütterung in der Regel: ,Eigentlich habe ich ja gar nix'“
„Manchmal merkt man es im Eifer des Gefechts auch gar nicht, es ist ein wichtiges Spiel, dann zieht man es durch“, sagt Helmich. Er gibt zu bedenken: „Man muss sich nur die Zahlen angucken, wie viele Leute in NRW an einem Wochenende Fußballspielen, dann kann man davon ausgehen, dass da ein paar hundert Gehirnerschütterungen passieren.“
Anlaufstelle an der Deutschen Sporthochschule
Deshalb hat Ingo Helmich eine neue Methode entwickelt. Mithilfe von Tests, etwa zur Balancefähigkeit und zur Gedächtnisleistung, sammelt er Daten. Anhand dieser kann er beurteilen, ob der Normalzustand nach einer Gehirnerschütterung erreicht ist, wann wieder gespielt werden kann. Voraussetzung dafür ist, dass sich Spieler für Vergleichsdaten vor der Saison „checken“ lassen. Dazu hat Ingo Helmich eine Anlaufstelle an der Deutschen Sporthochschule errichtet. Vor allem Footballspieler nutzen das Angebot, berichtet Helmich, der mit dem NRW-Verband zusammenarbeitet.
Denn die Berichte aus den USA sind auch in die Footballszene nach Deutschland geschwappt. „Man nimmt nicht das nicht mehr auf die leichte Schulter“, sagt Michael Wevelsiep, Sportdirektor der Düsseldorf Panther. „Wir achten immer mehr darauf, dass die Köpfe nicht so hart aneinander knallen.“ Die NFL sei zwar härter und schneller, aber auch hierzulande sei Football „eben eine Kollisionssportart.“
„Es hat sich in den letzten Jahren sehr viel getan“, sagt Ulrich Grünwald, Football-Verbandsarzt des Deutschland- und des NRW-Verbandes. Nicht nur habe es eine deutliche Regeländerung gegeben – der Kopf darf nicht mehr zum Tacklen eingesetzt werden –, auch seien Spieler und Trainer deutlich sensibler bei diesem Thema geworden. „Es wird schon deutlich mehr darauf geachtet.“
Helme werden stetig weiter entwickelt
Im Eishockey wurde ebenfalls reagiert. So kommen regelmäßig die Mannschaftsärzte der Klubs zusammen, außerdem wurde das Regelwerk verschärft. Auf Nachfrage teilt der DEL-Klub Kölner Haie mit, es gebe sowohl „von der Liga als auch von uns regelmäßige Tests“. Außerdem würden die Helme immer weiter entwickelt und so die Abfederung verbessert. „Dadurch sind die Kopfverletzungen immer weniger geworden.“
Ausschlaggebend für die Wende war Stefan Ustorf, der bei einem Spiel der Eisbären Berlin im Dezember 2012 auf dem Eis liegen blieb. Der Unfall beendete die Karriere des früheren NHL-Spielers, noch heute habe er "Kopfschmerzen, Schwindel, Übelkeit und extreme Temperamentsschwankungen", berichtete Ustorf in einem Interview. Seine Ärzte sagen, die Wahrscheinlichkeit, dass er CTE habe, sei „sehr, sehr groß“.