London. Leipzigs Marcel Halstenberg feiert ein gelungenes DFB-Debüt. Seine Karriere verlief unglaublich rasant. Das könnte ihn sogar zur WM bringen.
Ein wenig Entspannung hatte sich die Reisegruppe auferlegt. In London lässt es sich ja aushalten. So begaben sich die besten deutschen Fußballspieler am Samstag, dem Tag nach dem eher bescheidenen 0:0 gegen England, in die Mitte der Millionen-Metropole. Der Plan sah eine Fahrt mit dem berühmten Riesenrad am Ufer der Themse vor. Anschließend jagten die Spieler in James-Bond-Manier mit Schnellbooten über den Fluss. Ein aufregendes Programm, wie gemacht für Marcel Halstenberg, dessen Karriere zuletzt so verlief wie jener Nachmittag: schnell und hoch hinaus. Der 26-Jährige von RB Leipzig ist angekommen in einer neuen Welt. Mal wieder.
"Erst Bundesliga, dann Champions League, jetzt Nationalmannschaft, das sind in der kurzen Phase ganz große Gefühle", meinte der 26-Jährige nach seinem geglückten Debüt im erlesensten Zirkel des nationalen Fußballs, das vor ein paar Jahren noch nicht für möglich gehalten werden konnte. Halstenberg ist so etwas ein Schattengewächs des hell ausgeleuchteten Spielermarkts. 2012 - mit Anfang 20 - kickte er noch er bei Borussia Dortmund - in der Regionalliga-Mannschaft. Er trainierte dann und wann mit den Profis. In jener Zeit wurde Halstenberg - in der Jugend noch Stürmer - von David Wagner, dem heutigen Trainer von Huddersfield Town, zum Außenverteidiger umfunktioniert. 2013 ging Halstenberg in die zweite Liga zum FC St. Pauli, zwei Jahre später zum Liga-Konkurrenten RB Leipzig. Seitdem geht's für ihn höher, schneller, weiter. Bundesliga-Debüt im August 2016, Vize-Meister, Champions-League-Debüt in dieser Saison. Seit Freitag darf er sich Nationalspieler nennen.
Hummels schwärmt von Teamkollegen Halstenberg
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Das nötigt auch einem alten Bekannten Respekt ab. „Ich habe mit Marcel bereits in Dortmund zusammengespielt. Als junger Bursche hat er bei uns mittrainiert", erinnert sich Abwehrchef und Aushilfs-Kapitän Mats Hummels an gemeinsame BVB-Zeiten. "Das ist ein richtig guter Kicker. Physisch sehr stark, super linker Fuß. Er hat gegen England schon sehr viele gute Dinge gemacht: intelligent verteidigt, sehr gut herausgespielt. Er ist auf jeden Fall einer, den wir auf dieser Position sehr gut gebrauchen können." Und auch Joachim Löw war angetan. "80.000 Zuschauer, Wembleystadion - da kann man auch schon einmal nervös werden. Aber er hat das hervorragend gemacht“, attestierte der Bundestrainer zufrieden.
Für ihn ist das von nicht unerheblicher Bedeutung, geht der Auftritt Halstenbergs doch mit neuer Hoffnung in einer deutschen Problemzone einher. Begnadete Mittelfeldspieler produzierte der deutsche Fußball in den vergangenen Jahren mit erstaunlicher Regelmäßigkeit, auch über das Angebot an Innenverteidigern und mittlerweile sogar Sturmoptionen lässt sich kaum mehr klagen. Und mit Joshua Kimmich verfügt das deutsche Ensemble über zumindest einen Rechtsverteidiger, der internationale Spitzenklasse verkörpert. Aber ebenbürtiges Personal für die linke Seite sucht Löw republikweit seit Jahren vergeblich. Zumal das eigentliche Ziel des Bundestrainers ist, jene Position doppelt brillant besetzt zu haben.
Halstenberg misst sich in der Champions League mit den Besten
Philipp Lahm war der Letzte, der die Ansprüche übererfüllte. Marcel Schmelzer scheiterte. Marcel Jansen auch. Weltmeister 2014 wurde die Mannschaft mit einem Innenverteidiger (Benedikt Höwedes) auf der Position. Bei der EM 2016 trat die Mannschaft mit dem sehr soliden Kölner Jonas Hector an, doch wegen dessen langfristiger Verletzung machte sich Löw im Hinblick auf die WM 2018 zuletzt auf die Suche nach potenziellem Ersatz. Sie begann in Berlin. Der Herthaner Marvin Plattenhardt durfte mit zum Confed-Cup, kam auch danach noch in Länderspielen zum Einsatz. Aber wenn man Löws Worte und Handlungen richtig interpretiert, dann überzeugte Plattenhardt nicht vollumfänglich.
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Ob Marcel Halstenberg dieses Dilemma zu lösen vermag, wird sich zeigen. Am Dienstag vielleicht schon ein bisschen mehr beim Aufeinandertreffen mit Frankreich in Köln. Klar ist aber, dass der Leipziger gegenüber allen Konkurrenten einen wertgeschätzten Vorzug mitbringt: Als Rasenballsportler misst er sich in der Champions League mit den Besten. Ob das seine WM-Chancen erhöht? "Es hat Spaß gemacht und ich bin stolz, den Adler auf der Brust getragen haben zu dürfen. Alles weitere wird sich zeigen", sagt der Debütant. Er bleibt im Hier und Jetzt.
Da hat er eh genug zu tun: Einstandsrede vor der Mannschaft halten, mit Ehefrau Franziska, die am Freitag Geburtstag hatte, am Abend essen gehen, am Samstag dann der Ausflug in London. Schnell vorwärts, hoch hinaus. Alles wie immer zuletzt.