Stuttgart. Beim DFB-Team gibt es nach dem Sieg über Norwegen nur Gewinner. Joachim Löw stibitzt den Ball. Timo Werner genießt den Jubel in der Heimat.

Es gib einen großen Gewinner dieses großartigen Abends von Stuttgart. Es handelt sich hier um eine Gruppe von Männern mittleren Alters, die sich immer donnerstags zum Kicken in Freiburg trifft und nach dem rauschhaften 6:0 der deutschen Nationalelf gegen Norwegen in Jubelschreie ausbrechen dürfte. Eines ihrer Mitglieder, ein gewisser Joachim Löw, hatte am Rande der Partie nämlich einen Ball geklaut. Mit dem Spielgerät unter dem Arm spazierte der Bundestrainer am Montag aus dem Stuttgarter Stadion in die Nacht. „In meiner Donnerstagsrunde ist der Ball kaputt“, sagte Löw grinsend. Damit war also eine Misere abgewendet.

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Es gab dann natürlich noch ein paar andere Gewinner des Abends. Oder sagen wir, man hätte sich – abgesehen von den völlig ramponierten Norwegern – schon sehr bemühen müssen, etwas Gegenteiliges zu finden. Gewonnen hatte das Stuttgarter Publikum, das viel Empathie bewies. Gewonnen hatten die acht Millionen TV-Zuschauer, die prächtigen Fußball geboten bekamen. Gewonnen hatte auch die deutsche Mannschaft, die vielleicht ihre beste Leistung seit der WM 2014 zeigte. Und ganz besonders gewonnen hatte ein junger Stürmer, dem diesmal nicht der Zorn der Zuschauer entgegen schlug, sondern die Herzen zuflogen: Timo Werner. „Das war eine wunderbare Geschichte. An diesem Abend haben wir erlebt, wie viel Spaß Fußball machen kann“, sagte Balldieb Löw.

Nordirland verhindert die Qualifikation

Das Spiel seiner Mannschaft war ein Statement: So geht Fußball. „Wir wollten von Anfang an begeistern“, sagte Kapitän Thomas Müller, der mit zwei Torvorlagen in 45 Minuten dazu beitrug. „Norwegen hat ganz gut mitgemacht und uns die Räume gegeben, die wir in Tschechien vermisst haben.“ Da hatte sich die DFB-Auswahl beim 2:1 noch schwer getan. Nun überflügelte sie federleicht den Gegner und steht mit acht Siegen aus acht Spielen vor der WM-Qualifikation. Dass sie zwei Partien vor Schluss noch nicht perfekt ist, weil Verfolger Nordirland in Gruppe C gegen Tschechien gewann und nur fünf Punkte Rückstand hat, fand Löw sogar gut: „Dann bleibt die Spannung hoch“, sagte er. Anfang Oktober geht es gegen Nordirland und Aserbaidschan.

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Ein Statement sendete auch das Stuttgarter Publikum: So geht Toleranz. Und damit befreite es den deutschen Fußball und die Republik insgesamt aus einer Misere. Die Nazi-Parolen der Verirrten von Prag sollten nicht unkommentiert bleiben. „Die Fans wollten zeigen, dass wir auch Fans in Deutschland haben, die uns unterstützen, die den Fußball lieben“, sagte Müller. „Das war eine sehr schöne Reaktion auf das Ganze, was am Freitag passiert ist. Zehntausende haben sich ganz klar dagegen gestellt, was in Prag ein paar Idioten von sich gegeben haben. Genau so soll es sein“, sagte Mats Hummels, der sich in den Tagen von Prag und Stuttgart endgültig als Wortführer der deutschen Mannschaft etabliert hat.

Sechs Tore in acht Länderspielen

Am beschwingtesten aber reiste Timo Werner aus Stuttgart ab. Zwei Tore hatte der Leipziger Angreifer erzielt, steht jetzt bei sechs in acht Länderspielen. Überraschender noch kam für den 21-Jährigen die Wucht der Liebesbekundungen von den Rängen für ihn, da er ja meistens eher wuchtige Ablehnung erfährt. „Nach der Geschichte, die war, war das nicht zu erwarten“, sagte Werner und schien davon nachhaltig berührt. „Ich konnte es mit Toren zurückzahlen.“ Aber die Zuneigung ging weit über die Tribüne hinaus. „Timo wusste, glaube ich, gar nicht mit so viel Lob und dieser Stimmung umzugehen. Aber wenn er so weiter macht, dann wird er sich daran auch noch gewöhnen“, sagte Müller.

Hummels nannte Werner einen „herausragender Stürmer, der da heranwächst“, um sich schnell zu korrigierte: „Wobei das zu wenig ist“, sagte Hummels, „er ist ja jetzt schon ein verdammt starker Spieler. Ich glaube, da könnten wir auf lange Sicht einen sehr, sehr starken deutschen Mittelstürmer haben.“ Und so ging das Loblied auf den lange Gescholtenen weiter: „Timo ist ein deutscher Topstürmer, der zur Weltklasse aufsteigen kann“, sagte Sami Khedira. Als dann auch noch Werners Sturmkonkurrent Mario Gomez hin und weg von ihm war, schien das alles fast zu kitschig: „Ich hatte Gänsehaut“, sagte Gomez, um eine fachliche Analyse zu liefern, der man durchaus folgen konnte: „Timo wird in den nächsten zehn Jahren den Sturm in Deutschland dominieren, vielleicht sogar in Europa.“ Werner sagte zwar, er fühle sich nicht als Stürmer Nummer eins. Aber das war dem Anstand geschuldet. Löw wird um ihn herum den deutschen Angriff der Gegenwart und Zukunft bilden.

Also alles gut? Überall Gewinner von Freiburg bis Leipzig? Noch nicht. Die Nazi-Auswüchse werden den DFB weiter beschäftigen müssen. Es muss Aufklärung geben. Damit es Abende wie in Prag nie wieder gibt – und eher Abende wie in Stuttgart.