Bochum. Anthar Yahia wird die Bilder vom Auswärtsspiel Algeriens in Ägypten so schnell wohl nicht los. "Das Gefühl, dass man uns töten will, habe ich noch nie vorher gehabt", sagt der Abwehrspieler, der in der Bundesliga das Trikot des VfL Bochum trägt, im Interview.
Vor dem Spiel in Ägypten am Samstag wurden Algeriens Spieler Opfer massiver Übergriffe. Nun steht am Mittwoch eine Entscheidungspartie im Sudan an. Anthar Yahia vom VfL Bochum ist dabei und sprach mit Johannes Ehrmann von 11 Freunde über die brisante Paarung.
Anthar Yahia, wie ist die Stimmung im algerischen Team einen Tag vor dem Entscheidungsspiel gegen Ägypten?
Anthar Yahia: Die Stimmung ist gut. Aber letzte Woche waren wir sehr geschockt und haben uns gefühlt wie bei einem Kidnapping. Wenn man mit solcher Aggressivität angegriffen wird und drei Spieler von uns Platzwunden am Kopf haben, denkt man sich: Bin ich beim Fußball oder im Krieg? Es ist wirklich traurig. Und noch schlimmer ist, dass die FIFA nichts macht.
Hätte das Spiel am Samstag Ihrer Meinung nach nicht stattfinden dürfen?
Yahia: Ich denke, das ist die Meinung der ganzen Welt – nur nicht die der FIFA. Es haben ja alle die Bilder gesehen. Viele unserer Fans sind schwer verletzt. Ich habe 40 Länderspiele gemacht, viele davon in Afrika. Ich habe wichtige Spiele absolviert, manchmal war die Stimmung bei Auswärtsspielen aggressiv. Aber das Gefühl, dass man uns töten will, habe ich noch nie vorher gehabt!
Wie kam es zu den Ausschreitungen gegen Sie?
Yahia: Das war alles geplant. Als wir vom Flughafen losgefahren sind, war vor und hinter unserem Bus eine Polizei-Eskorte. Dann nahm der Busfahrer einen anderen Weg und bremste an einem bestimmten Punkt, an dem keine Polizei war. Dann kamen vielleicht 500 Leute auf uns zu und haben Steine geschmissen.
In der Hotellobby kam es noch einmal zu Tumulten, wie man in einem der Videos sehen kann.
Yahia: Dort war dann zum Glück unsere Security, der man verboten hatte, uns vom Flughafen abzuholen.
Wie erklären Sie sich die Aggressionen?
Yahia: Beim Hinspiel haben wir alle Ägypter mit einer Blume empfangen. Damit wollten wir zeigen, dass es eine gute Beziehung zwischen den beiden Ländern gibt. Vor dem Rückspiel sagte der Präsident des ägyptischen Verbands dann: »Jeder Algerier bekommt einen Stein von uns.« Das steht in der Presse, genauso wie seine Aussage, dass die Ägypter mit uns machen können, was sie wollen.
Die Ägypter wurden also vor dem Hinspiel friedlich empfangen?
Yahia: Vom Flughafen zum Stadion in Algier sind es 70 Kilometer. Es gab für den ägyptischen Bus sogar eine Hubschraubereskorte, kein einziger Stein ist geflogen. Wir hatten dagegen in Ägypten nur einen Weg von fünf Kilometern bis zum Hotel...
Woher kommt die besondere Rivalität zwischen Algerien und Ägypten?
Yahia: Vor zwanzig Jahren gab es ein Spiel, bei dem wir vergleichbare Dinge gemacht haben. Seitdem gibt es eine große Rivalität. Aber so etwas hätte ich nie erwartet. Wenn ich überlege, dass die FIFA Diego Maradona für bloße Worte bestraft hat... Wenn der liest, was bei uns los war, lacht er sich tot. Die FIFA muss sich bemühen, gerecht zu urteilen. Wenn Ballack vor solch einem Spiel einen Stein an den Kopf bekommen hätte, wäre Deutschland niemals aufgelaufen.
Urteilt die FIFA nach zweierlei Maß?
Yahia: Es gibt zwei Gewichte in der Welt. Das ist eine große Ungerechtigkeit. Die Welt hat es gesehen. Zum Glück hat einer unserer Spieler die Attacke mit dem Handy gefilmt.
Wie war die Stimmung im Stadion selbst? Der Schiedsrichter ließ sechs Minuten nachspielen...
Yahia: Es war eine Stimmung wie in der Hölle, besonders als nach drei Minuten schon das 1:0 für Ägypten fiel.
Das entscheidende Spiel findet nun auf neutralem Platz im Sudan statt. Seit wann sind Sie im Land?
Yahia: Direkt nach dem Spiel sind wir aus Ägypten weg. Es war ein gutes Gefühl, das Land zu verlassen. Wir haben uns gefühlt wie im Gefängnis. Viele Spieler haben um ihr Leben gefürchtet. Es war sehr schwer, überhaupt auf den Platz zu gehen.
Glaubt die Mannschaft an ihre Chance im Endspiel am Mittwoch?
Yahia: Wir sind hier nicht auf gegnerischem Terrain. Man behandelt uns im Sudan sehr freundlich, wir wurden am Flughafen empfangen. Die Stimmung in der Mannschaft ist sehr positiv. Wir haben am Mittwoch die Chance uns zu qualifizieren und werden diese Chance zu hundert Prozent nutzen.
Werden viele Algerier im Stadion sein?
Yahia: Wir rechnen mit 20.000 Algeriern. Unser Präsident hat alle Flüge unseren Fans zur Verfügung gestellt. Seit unserer Unabhängigkeit 1962 hat es nicht mehr solch eine Stimmung in Algerien gegeben. Ganz Algerien steht hinter uns. Wenn es genügend Plätze gegeben hätte, wäre das ganze Land jetzt im Sudan!
Was würde Ihnen eine WM-Teilnahme bedeuten?
Yahia: Es ist mein größter Traum, das Spiel am Mittwoch zu gewinnen und nach Südafrika zu fahren. Wir wollen aber einen sportlichen Sieg, nicht einen Sieg des politischen Drucks, wie das in Ägypten der Fall war. Dort trug man das Spiel vom Sport in die Politik – das gehört sich nicht. Vor der Partie hatten beide Länder keine Probleme miteinander, und jetzt gibt es fast diplomatische Schwierigkeiten deswegen.