Sotschi. Die Nationalelf kann sich beim Confed Cup den gesellschaftlichen Problemen Russlands nicht entziehen. Löw: Niemandem wird ein Maulkorb verpasst.
Joachim Löw hatte die Pole-Position. Wie immer, wenn es losgeht zu einem Turnier. Der Bundestrainer stieg am Donnerstagmorgen mit hochgekrempelten Hemdsärmeln aus dem Bus, schrieb dem freudig erregten Bodenpersonal am Frankfurter Flughafen Autogramme und setzte sich in die erste Reihe rechts auf Platz 1D der Lufthansa-Maschine LH432. Hinter ihm seine 21 Spieler. Die Sonne schien. Aufbruch nach Russland, zunächst in den Badeort Sotschi am Schwarzen Meer. Bestenfalls zweieinhalb Wochen Confed Cup. Es ist auch ein Aufbruch in ein fremdes Land mit befremdlichen Zuständen.
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Russland empfing die deutsche Nationalmannschaft mit strahlender Sonne und einer unsanften Landung um exakt 13.34 Uhr Ortszeit. Ein erstes Training auf der unweit des Teamhotels gelegenen „Park Arena“ am Nachmittag. Russische Kinder hatte der deutsche Fußball-Bund (DFB) dazu eingeladen. Der Verband hat sich „Begegnungen“ vorgenommen. Fußball ist für die Menschen, auch wenn er in den nächsten Wochen und vor allem in einem Jahr bei der WM für politische Inszenierungen missbraucht werden dürfte. Noch weniger als bei den Weltmeisterschaften 2010 in Südafrika und 2014 in Brasilien kann sich die Nationalelf in Russland den gesellschaftlichen Problemen des Gastgeberlandes entziehen – und will es auch gar nicht. „Wir wollen über die vier Eckfahnen hinaus einen Beitrag leisten“, sagte DFB-Präsident Reinhard Grindel.
Der 55 Jahre alte Ex-Politiker wird am Sonnabend beim Petersburger Dialog eine Grundsatzrede über die gesellschaftliche Verantwortung des Fußballs halten. Man will leise Zeichen setzen, allerdings ohne wirklich anzuecken. „Schnellschüsse sind das falsche Signal“, sagte Grindel. Immerhin entschied sich der Präsident gegen ein Treffen mit Vertretern der orthodoxen Kirche in Kasan, nachdem Amnesty International auf deren Nähe zu Machthaber Wladimir Putin hingewiesen hatte.
DFB-Chef Grindel: "Dialog statt Haftstrafen"
Der DFB hat den 21 Spielern ein Handbuch über die politische Situation vor Ort zusammengestellt. Korruptionsvorwürfe, nordkoreanische Zwangsarbeiter auf Stadionbaustellen, dazu die Verhaftung von Oppositionellen am Montag. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch veröffentlichte einen 34 Seiten umfassenden Bericht über die Zustände auf den Baustellen, der enthüllt, dass Arbeiter monatelang keinen Lohn erhielten und in bisweilen unwürdigen Zuständen tätig sein mussten. An all diesen Missständen kommt der DFB nicht vorbei. Teammanager Oliver Bierhoff beantwortete dazu intern Fragen der Spieler. Löw hatte gesagt, dass seine Profis „nicht mit Scheuklappen durchs Land reisen“ sollen. Es gibt für sie auch keinen „Maulkorb“. Jeder darf sagen, was er denkt. Zu erwarten aber ist eher nicht so viel.
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Immerhin kritisierte Grindel die Verhaftungen vom Montag: „Nach unserer Vorstellung löst man die Probleme einer starken Bürgergesellschaft mit Dialog und nicht mit Haftstrafen“, sagte er. Größere Aktionen wird es ob des engen Spielplans aber nicht geben. Am Montag startet Löws Auswahl in Sotschi gegen Australien (17 Uhr) in die Gruppenphase, um dann noch in der Nacht weiter nach Kasan zu reisen, wo es am Donnerstag gegen den Südamerikameister Chile geht (20 Uhr). Am Sonntag wartet dann Afrika-Cup-Sieger Kamerun (17 Uhr). Es ist eine heikle Mission, die Löw und die DFB-Delegation da unternimmt. Weil der Bundestrainer erstens ein Team beisammen hat, das sich wenig kennt und zu jedem Spiel neu zusammengewürfelt wird. Und weil Russland eben kein normaler Gastgeber ist.