Stockholm. Der ehemalige BVB-Profi und Premier-League-Experte Steffen Freund verteidigt im Interview die Europa League. Manchester United traut er viel zu.
Steffen Freund hat für den FC Schalke und Borussia Dortmund gespielt. In England stand er vier Jahre für den Tottenham Hotspur auf dem Rasen, war dort von 2012 bis 2014 auch Co-Trainer. Am Mittwoch wird er gemeinsam mit Youri Mulder für Sport1 beim Europa-League-Finale in Stockholm vor Ort sein. Manchester United tritt gegen Ajax Amsterdam an (20.45 Uhr/ live bei uns im Ticker). Im Interview blickt Freund auf das Endspiel.
Herr Freund, die schwierigste Frage direkt zu Beginn. Wer gewinnt das Finale in Stockholm?
Steffen Freund: Ich würde auf Manchester United tippen. Auch weil ich es mir wünsche. Die Europa League hat in England einen unglaublich kleinen Stellenwert, was mich immer noch schockiert. Dabei ist die Europa League ein großer Titel, auch weil der Sieger in die Champions League einzieht. Die Konstellation ist für Manchester ähnlich wie für den FC Liverpool im letzten Jahr. Nur mit einem Finalsieg würde United noch in die Champions League einziehen. Dann hätte England im nächsten Jahr sogar fünf Teilnehmer. Da wäre gut für den englischen Fußball, damit die Fans sehen, wie wichtig die Europa League ist.
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Warum hat sie so einen schlechten Ruf?
Freund: Der entscheidende Grund ist, dass die Vereine nur in der Champions League das große Geld verdienen können. Aus finanzieller Sicht ist die Europa League erst ab dem Achtelfinale lukrativ, vorher sind die Einnahmen sehr gering. Daher kommt der schlechte Ruf. Das könnte sich allerdings mit einem Sieg von Manchester United ändern.
Sollte die Europa League reformiert werden?
Freund: Ich würde die Europa League weiter aufwerten. Beide Finalisten sollten einen Champions-League-Platz bekommen. Denn es sind 15 Spiele bis zum Finale. Wenn man sogar die Qualifikation vor der Saison spielt, kommt man auf 17 Partien. Das ist eine halbe Bundesliga-Saison. Es ist ein extrem langer Weg in das Finale einzuziehen. Meine höchste Achtung hat deswegen auch Ajax Amsterdam. Sie sind mit einer jungen unerfahrenen Mannschaft bis in Finale durchmarschiert.
Kann die Premier League in Zukunft wieder die führende Rolle in Europa einnehmen?
Freund: Ich finde es schade, dass man International so sehr dem spanischen Fußball hinterherhinkt. Das gilt für die Premier League, aber auch die Bundesliga. In der absoluten Spitze gibt es momentan keine englische Mannschaft, das könnte sich aber im nächsten Jahr mit dem FC Chelsea und vielleicht Manchester City ändern. Ich würde allerdings allen fünf englischen Mannschaften, sollte sich Manchester United qualifizieren, im nächsten Jahr das Viertelfinale in der Champions League zutrauen.
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Wie beurteilen Sie die Entwicklung von Manchester United in diesem Jahr?
Freund: Grundsätzlich positiv. Im letzten Jahr von Alex Ferguson war ich Co-Trainer von Tottenham Hotspur. Manchester wurde da 2013 Meister. Es war also genau der richtige Zeitpunkt für Ferguson, um aufzuhören. Aber es war auch klar, dass es für die Nachfolger sehr schwer wird. Das ist in den nächsten Jahren auch so eingetreten. Jetzt ist Manchester United unter José Mourinho auf einem positiven Weg. Wieder sehr schwer zu schlagen. Das könnte sich extrem beschleunigen, wenn United die Europa League gewinnt. Paul Pogba wird im nächsten Jahr noch besser. Marcus Rashford ist ein großes Talent. Und sie haben mit Jesse Lingard und Henrikh Mkhitaryan super Außenstürmer.
Wäre die Saison mit dem Gewinn der Europa League eine gute?
Freund: Eine sehr gute! Manchester United könnte jetzt die Saison mit dem Gewinn der Europa League sogar krönen. Denn Mourinho hat schon den Ligapokal im Wembley gewonnen. Nur durch Titel wirst du unsterblich.
Henrikh Mkhitaryan hatte am Anfang Probleme. Jetzt läuft es deutlich deutlich besser. Warum?
Freund: Er hatte einfach die Probleme, die viele Offensivspieler am Anfang in der Premier League haben. Für mich ist das normal. Die Premier League ist gerade für die Offensivspieler extrem schwierig, da sie sich gegen zweikampfstarke und aggressive Gegenspieler durchsetzen müssen. Ich wusste aber, dass er sich durchsetzen wird.
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Ist Rooney schon die Vergangenheit von Manchester United?
Freund: Der Trend sieht danach aus. Ich würde ihn aber nicht abschreiben. Er ist 31 Jahre alt. Da sollte eigentlich noch ein paar Jahre was möglich sein
Was passiert in der nächsten Saison?
Freund: Aus meiner Sicht wird Manchester United noch stärker. Mkhitaryan wird im nächsten Jahr noch besser spielen. Paul Pogba ist einfach ein genialer Spieler. Und United hat keine Probleme, noch einen oder zwei fertige Spieler zu kaufen. Es gibt Gerüchte um Gareth Bale und Antoine Griezmann. So einen Transfer traue ich United zu. Dann würde sich aber natürlich die Konstellation um Wayne Rooney verändern, dem ich von seiner Qualität durchaus noch zutraue, United zu helfen.
Kann Manchester United irgendwann wieder die führende Rolle im europäischen Fußball einnehmen, die der Verein schon inne hatte?
Freund: Zunächst sind sie erstmal im Europa-League-Finale, da wären viele deutsche Mannschaften sehr glücklich. Sollten sie sich für die Champions League qualifizieren, traue ich ihnen zu, unter die besten Acht zu kommen. Die führende Rolle in Europa ist noch weit weg.
Glauben Sie, dass die viele starken Vereine in der Premier League, die alle um die Meisterschaft kämpfen, sich gegenseitig behindern, um an die stärksten Vereine in Europa heranzukommen?
Freund: Diese These würde ich verneinen. Ich sehe den Alleingang von Juventus Turin in Italien oder vom FC Bayern in Deutschland viel negativer, weil sie gleichzeitig die Konkurrenten schwächen. Außerdem ist dieser Alleingang langweilig. Ich sehe in der spannenden Premier League auch keinen Nachteil. Denn eigentlich ist es schlecht, weniger starke Gegner zu haben – und dann erst im Viertelfinale der Champions League auf die europäischen Top-Klubs zu treffen.
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Woran liegt es dann, dass die Premier League im Kampf um die Königsklasse hinterherhinkt?
Freund: Für mich liegt es vor allem an der großen Belastung. 20 Mannschaften, die Ligapokal, der FA-Cup, es gibt keine Winterpause. Es gibt eher ein physisches Problem. Für Manchester United ist das Finale in Stockholm schon das 67. Pflichtspiel der Saison!