Leverkusen. Vor dem Spitzenspiel gegen den Hamburger SV ist Bayer-Torjäger Stefan Kießling selbstbewusst. Im Interview spricht der Stürmer über die Nationalelf, das Topspiel gegen den ehemaligen Trainer Bruno Labbadia und seine Poker-Tricks.

Das zuerst: Stefan Kießling rasiert sich seit zwei Wochen wieder. Und damit hat der Stürmer von Fußball-Bundesligist Bayer Leverkusen vor dem Spitzenspiel des Tabellenführers beim punktgleichen Verfolger HSV gleich zwei Fragen von der Backe. Erstens: Steht ihm ein Bart? Und zweitens: Wieso steht Bundestrainer Joachim Löw im Moment nicht auf den besten Torschützen der Liga?

Die Meinungen über Ihren Bart sind ja ziemlich auseinander gegangen...

Stefan Kießling: So eine Geschichte mache ich nicht noch einmal. Ich habe nach dem ersten Tor im ersten Saisonspiel gesagt, solange ich treffe, rasiere ich mich nicht mehr. Das ging dann bis zum fünften Tor im fünften Spiel. Anfangs war es ja ganz lustig, aber dann hat es genervt. Ich hätte nie geglaubt, dass so ein Wirbel um den Bart gemacht wurde.

Was hat denn Ihre Frau gesagt?

Kießling: Die fand den Bart nicht schlecht. Aber eher, weil ich so oft getroffen habe.

Sechsmal in dieser Saison. Öfter als Miro Klose, Lukas Podolski, Mario Gomez und Cacau zusammen. Trotzdem standen die vier in Russland und gegen Finnland auf dem Platz, Sie nicht. Fühlen Sie sich gerecht behandelt?

Kießling: Mein Problem ist doch: Was ich jetzt auch sage wird gegen Joachim Löw gedreht. Und das will ich nicht. Ich habe beide Spiele am Fernseher geschaut und mich über die Qualifikation gefreut. Natürlich wäre ich gerne dabei gewesen, so ein Spiel in Russland ist in der Konstellation doch ein Riesending. Und natürlich bin ich innerlich enttäuscht, dass ich nicht nominiert wurde.

Mal anders gesehen: Der Bundestrainer hält seinen verdienten Spielern wie Klose und Podolski auch dann die Treue, wenn sie mal nicht so treffen, und gibt nicht sofort dem öffentlichen Druck nach, einen Spieler zu bringen, der einen besseren Lauf hat. Eigentlich kein schlechter Charakterzug, oder?

Kießling: Da ist schon was dran. Ich sehe doch auch, dass Miro und Lukas große Verdienste haben, da ist es doch klar, dass Joachim Löw an ihnen festhält. Aber es fahren fünf Stürmer zur WM und ich will einer von ihnen sein.

Sie haben nicht immer so gut getroffen wie jetzt...

Kießling: Stimmt auch. Ich arbeite an mir, ob es vor dem Training oder danach ist. Ich bin mir nicht sicher, ob das entscheidend ist, vielleicht hat's auch im Kopf geklickt.

Es läuft bei Ihnen, es läuft bei Bayer. Ihr Team ist ungeschlagener Spitzenreiter, liegt schon acht Punkte vor den Bayern. Alles dank Jupp Heynckes?

Kießling: Unser Trainer hat ganz bestimmt großen Anteil.

Weil der frühere Disziplinfanatiker sich geändert hat?

Kießling: Er erzählt uns sehr offen, wie er früher war. Wie sehr er sich über Situationen aufgeregt hat, in denen er jetzt locker bleibt. Ich erlebe ihn als sehr entspannten Menschen. Wir sind eine junge Mannschaft, deshalb sind wir vielleicht leichter zu handhaben. Auf der anderen Seite schlägt ein junger Spieler eher mal über die Stränge. Aber da bleibt unser Trainer vollkommen ruhig und deckt uns öffentlich den Rücken.

War das im Vorjahr unter Bruno Labbadia anders?

Kießling: Nach außen hat er auch nie etwas über uns gesagt. Aber wir wurden anders angepackt.

Härter?

Kießling: Ja, Bruno Labbadia war schon härter.

Bayer hatte auch im Vorjahr einen tollen Start, dann kam der Einbruch und die Trennung von Labbadia. Was ist schiefgelaufen?

Kießling: Es war schwierig, in Düsseldorf zu spielen. Wir haben uns da nicht wohl gefühlt und hatten einfach kein Heimspiel. Wir haben dort nicht schlecht gespielt, aber uns manchmal dumm angestellt. Im Endeffekt fehlte einfach der Erfolg.

Sie treffen morgen in Hamburg auf Ihren alten Trainer...

Kießling: Ehrlich, das ist bei uns kein Thema. Man redet mal einen Satz darüber, aber du musst dich auf dein eigenes Spiel konzentrieren, sonst gewinnst du nicht. Gegen Hamburg geht es nicht um Labbadia sondern um einen Big Point. Den wollen wir machen.

Wird Bayer gegen den HSV in der Rückrunde auch noch das absolute Spitzenspiel sein?

Kießling: Nichts dagegen.

Dagegen könnte höchstens der der traditionelle Bayer-Einbruch sprechen...

Kießling: Diesmal nicht. Wir kennen dieses Image, und es nervt uns. Aber wir stürzen nicht mehr so ab wie früher. Wir sind viel gefestigter und wir haben mit Sami Hyypiä einen geholt, der den Laden hinten zusammen hält. Wir laufen nicht mehr so blind ins Verderben wie in den letzten Jahren. Ich weiß nicht, ob es am Ende für den Titel reicht, aber ich sage, wir kommen auf jeden Fall ins internationale Geschäft.

Spricht da der Zocker? Sie gelten als einer der besten Pokerspieler der Bundesliga...

Kießling: Ja? Kann ich nicht beurteilen, aber ich denke, dass ich ganz gut bin.

Man sagt, Sie pokern wie Sie spielen: eher stürmisch.

Kießling: Stimmt. Meine Lieblingshand ist König und Fünf. Das ist eigentlich kein Blatt, mit dem man richtig rangeht. Aber es kann beim Pokern aus allem was werden.

Gibt's denn bei Bayer eine feste Runde?

Kießling: Ja, wir sitzen oft am Abend vor einem Spiel im Hotel am Tisch, in den beiden Stunden nach dem Abendessen bis zur Bettruhe. Manuel Friedrich, Daniel Schwaab und Michal Kadlec sind dabei.

Geht's um hohe Einsätze?

Kießling: Quatsch. Wir spielen um zehn Euro, es geht nur um die Ablenkung. Alles andere wäre tödlich für eine Mannschaft.

Und Sie gewinnen oft?

Kießling: Ab und zu schon. Ich kann nämlich gut bluffen.